Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

7. Dezember, Kino
600.000 Soldaten führte Napoleon Bonaparte 1812 auf seinen ehrgeizigsten Feldzug nach Moskau. Dessen furchtbares Scheitern überlebten 560.000 von ihnen nicht. Der Brite Ridley Scott macht in einem unkonventionellen (Anti-)Kriegsdrama und Biopic dem menschenverschleißenden Usurpator beeindruckend die Rechnung auf und stellt ihn entlarvend neben seine Lebensbegleiterin Joséphine.




Eckpunkt
Teufels Küche

Von Curiander

7. Dezember  Wer mit dem Teufel frühstückt, muss einen langen Löffel haben. Den Antichrist zu attackieren, setzt einen archaischen katholischen Glauben an ihn, gediegene Lateinkenntnisse und reichlich Geduld voraus. Länger noch als der Löffel des Gottseibeiuns ist die Tradition des Exorzismus, die zweitausend Jahre zurückreicht. Jene ritualisierte Austreibung dämonischer Mächte nehmen Priester bei der Taufe vor, freilich so beiläufig, dass mans kaum merkt. Irritierend ins Auge fällt erst eigentlich der „Große Exorzismus“ an Menschen, denen unterstellt wird, von Beelzebub oder seinen Unholden besessen zu sein. Solche Höllenkreaturen beschwören und bannen zu wollen, und zwar auf Teufel komm raus, könnte man freisinnig für Überbleibsel eines vorzivilisatorischen Schamanismus halten – triebe nicht nach wie vor eine päpstlich sanktionierte „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ ungehemmt ihr Wesen. Kürzlich trat sie in Sacrofane bei Rom zusammen, wo sie Karel Orlita zu ihrem neuen Präsidenten wählte. Nun steht der tschechisch Priester etwa neunhundert nach vatikanischen Vorschriften praktizierenden Austreibern und ihren Assistenten vor. Wie sie die Prozedur durchzuführen haben, fasste der Heilige Stuhl erstmals 1614 im „Rituale Romanum“ zusammen, das die einschlägigen Evangeliumsverse und Psalmen, Litaneien und Segnungen sowie die symbolischen Handlungen vom Weihwasser-Sprengen über die Handauflegung bis zum Kreuzschlagen aufführt; 1999 modernisiert, lässt der Leitfaden nun auch Erkenntnissen der Medizin und Psychiatrie gelten. Heilige Maßregeln gegen den Leibhaftigen – eine Wohltat für den heimgesuchten Menschen? Ganz so grausig wie in William Friedkins Kinoschocker „Der Exorzist“ von 1973 geht es dabei wohl kaum zu. Wie weit sich gleichwohl der Aberglaube oder Glaube an die Wirksamkeit der okkulten Bräuche bis zur Wirklichkeit vorwagt, zeigt nicht nur der Fall der 23-jährigen, von epileptischen Anfällen und einer Psychose geplagten Anneliese Michel, die auf Geheiß vermeintlicher Stimmen in ihrem Kopf jede Nahrung verweigerte und auf 31 Kilogramm abmagerte, bis sie 1976 in Klingenberg bei Aschaffenburg an Auszehrung starb – nachdem nicht weniger als 67 „Große Exorzismen“ der angeblich bösen Geister in ihr hatten Herr werden sollen. Auch in der Gegenwart kann sich Ähnliches ereignen: Derzeit stehen in Italien 483 Priester, von ihren Bischöfen eigens dazu bestellt, für den speziellen „Heilungs- und Befreiungsdienst“ bereit, in den Vereinigten Staaten 62, in Mexiko 48 … Allein Pater Gabriele Amorth, der ihre Weltvereinigung 1990 gründete und ihr bis zu seinem Tod 2016 vorstand, will in Zehntausenden von Fällen aktiv geworden sein. Sollte eine Kirche, die an derart atavistischen Praktiken festhält, von allen guten Geistern verlassen sein? Verstört von zunehmend irrationalen Diskursen auf allen Gebieten, kommt heutzutage auch der leicht in Teufels Küche, der gegen solcherart Auswüchse einer heillosen Religiosität Gründe der aufgeklärten Vernunft anzuführen wagt. Nicht etwa die bedauernswerten Patienten der Bezirkskliniken haben den Teufel im Leib, sondern diabolische Gewaltherrscher, infernale Falken und un-heilige Krieger, die dafür sorgen, dass in der Welt gerade mal wieder der Teufel los ist. Ob solche Kräfte, die „stets das Böse wollen“, dadurch letztlich „das Gute schaffen“, wie Goethes Mephisto es für sich in Anspruch nimmt? Weiß der Teufel. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

2. Dezember, Hof
Mindestens 25 Mal hatte es in Hof zuvor schon gebrannt - doch das letzte Großfeuer, am 4. September 1823, wütete am schlimmsten: Binnen sieben Stunden vernichtete das Inferno weite Teile der Stadt. Von der Katastrophe vor jetzt zweihundert Jahren, zugleich von der unerwartet schnellen Wiedergeburt Hofs im Zeichen der biedermeierlichen Bürgerkultur erzählt das Museum Bayerisches Vogtland.

29. November, Hof, Theater, Studio
222 Millionen Euro: So teuer war vor sechs Jahren der kostspieligste Spielertransfer im internationalen Fußball. Dass zwar die Geschäftemacherei, aber keineswegs die Gefühllosigkeit in der Kicker-Provinz etwas kleiner ausfällt, führt das Drei-Personen-Match Der rote Löwe vor: Unter Ralf Hockes Leitung spult sich ein perfektes Dialogstück in perfekter Dialogregie ab - übrigens genau mit der Länge eines Fußballspiels.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Der rote Löwe
Bilder deiner großen Liebe
Timetraveller’s Guide to Donbas

Die Eisbärin



Musiktheater
zuletzt
A Tale of two Cities
Tell me on a Sunday
Die Zauberflöte
Falstaff

Theater andernorts
zuletzt
Siegfried, Götterdämmerung in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth
Parsifal
auf Bayreuths Grünen Hügel
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg


Konzert
zuletzt
Henri-Marteau-Preisträgerin: Die Geigerin Hawijch Elders gibt Selb die Ehre
„Sehnsuchtsorte“
auf der Reiseroute von Kinan Azmeh und den Hofer Symphonikern
„Großes Herbstkonzert“
in der Basilika Waldsassen mit Schubert und Mendelssohn
Das Hofer Atrium-Quintett
mit klassisch-romantischer und -moderner Bläsermusik



Film und Fernsehen
zuletzt
Napoleon
Ein ganzes Leben
57. Internationale Hofer Filmtage
Oppenheimer


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
200 Jahre Hofer Stadtbrand: Wiedergeburt im Zeichen des Biedermeiers
„Lichtspiel“:
Daniel Kehlmanns Roman über die NS-Verstrickungen des G. W. Pabst
Stille Örtchen: Das Porzellanikon in Selb erzählt aus der Geschichte des Klos
Bücher & Musik:
Komponistinnen, Markgrafenkirchen, Bläserserenaden


Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

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Die Bücher
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.