Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

18. Februar, Hof, Theater, Großes Haus
Mag die Uraufführung auch bald ein Vierteljahrtausend zurückliegen: Die Freiheits- und Menschenrechts-Appelle Friedrich Schillers in seinem Don Karlos dröhnen einem heute geradezu in den Ohren. Fesselnd werden unter Christian Hockenbrinks ungewöhnlicher Regie aus einem Stück mehrere Stücke, aus einer Inszenierung zwei, und statt eines Protagonisten stehen drei im Zentrum.



Eckpunkt

Tages Licht

Von Curiander

12. Februar 2025   Kino ist ein Widerspruch in sich. Wir sitzen im Saal, als wärs ein Theater, aber der Guckkasten einer Bühne fehlt, vor uns gibt es nichts Lebendes, nichts Totes außer der Leinwand. Die scheint uns die Realität fotografisch genau vorzuhalten, und doch bleibt sie ganz passiv. Denn was wir auf ihr wahrnehmen, sind Spiele aus Licht, geschaffen aus nichts als jenen Wellen des elektromagnetischen Spektrums, mit denen unser Auge zufällig etwas anzufangen weiß. In dem Moment, da der Mensch was sehen will, ist Licht vonnöten, und was wir sehen, ist, in der Wirklichkeit wie im Film: Hell und Dunkel, Weiß und Schwarz und das Spektrum zwischen Violett und Rot, im Wellenbereich etwa zwischen 380 und 750 Nanometern. Normalerweise reicht uns das, im Film indes entstellt das Licht, das doch eigentlich die Wahrheit an den Tag bringen soll, die Welt gern bis zur Unsinnigkeit. Den Behelf, in Autos während Nachtfahrten die Innenraumbeleuchtung eingeschaltet zu lassen, sehen wir, auch wenn er jeder Alltagserfahrung zuwiderläuft, den Regisseuren nach, könnten wir doch andernfalls die Insassen nicht erkennen. Hingegen müssen wir die Lichtschimmer und -strahlen für Unsinn halten, die durchs tiefste Schwarz mitternächtlicher Wälder oder von Gebirgsschluchten zu dringen pflegen; geister- und rätselhaft kommen sie während rasender Fluchten, zielgenauer Verfolgungen, klammheimlicher Grabereien von irgendwoher – vom Himmel jedenfalls nicht –, dabei weiß jeder, der ein Mal zur Spätdämmerung zwischen mehr als fünfzig Bäumen umherirrte, dass man dann die Hand nicht mehr vor Augen sieht und jeder Steig und Abzweig erschreckend anders als vor zwei Stunden ausschaut. Aber auch der Tag wirft kinematografische Fragen auf: Warum leuchten in Kino- und Fernsehfilmen allerlei Lampen, Leuchten und Laternen in Wohn-, Ess- und Schlafzimmern, wenn doch rund ums Haus die Sonne gleichsam schallend vom Himmel lacht? Tatsächlich gibt es dafür handwerkliche Gründe. In Innenräumen, sofern sie nicht im Studio eigens eingerichtet werden, helfen Steh-, Tischlampen oder Küchenstrahler, das Mobiliar, die Requisiten und Gesichter kontrolliert, außerdem während längerer Drehphasen unverändert auszuleuchten; so nimmt das Risiko ab, stets nachjustieren zu müssen, sobald die Helligkeit schwankt. Nicht zu unterschätzen sind ferner die Impulse, die von erkennbaren Lichtquellen mit ihrer variablen Leuchtkraft auf die Atmosphäre einer Einstellung, die widerstreitenden Gefühle der Figuren ausgehen. Nebenbei unterstützen Lampen im Bild durch die Schatten und Kontraste, die sie erzeugen, die Raum- und Tiefenwirkungen eines Spielorts. Freilich wollten und wollen es sich nicht alle Filmleute immer so bequem machen. Zum Beispiel unterwarfen sich von der Mitte der 1990er-Jahre an die Künstler der Dogma-Bewegung einem rigorosen Realismus, drehten ausschließlich mit Handkameras an Originalschauplätzen und lehnten nicht nur Tricks und special effets, sondern bereits jedes Kunstlicht ab. Noch weitaus mehr Radikalität wagte der tödlich an Aids erkrankte Derek Jarman 1993 in seinem Lebensabschiedswerk: Fast völlig erblindet, tauchte der britische Maler und Filmemacher die Kinoleinwand für fünf Viertelstunden in die einzige Spektralfarbe des Tageslichts, die er kurz vor seinem Ende noch sehen konnte. „Blue“ heißt der Film, Blau die Farbe, etwa 465 Nanometer. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

15. Februar, Kirchenlamitz, Schule
Ein Skandal, der einem die Sprache verschlagen sollte: Im reichen Deutschland bedroht Armut jeden fünften Menschen unter achtzehn; andernorts in Europa sieht es oft nicht besser aus. Im mobilen Stück Wutschweiger der Belgier Jan Sobrie und Raven Ruëll machen Alexandra Ebert und Etienne Moussou vom Theater Hof Schülerinnen und Schüler unterhaltsam und bedenkenswert mit dem Problem vertraut.

4. Februar, Hof, Theater, Großes Haus
Alle Kulturen aller Epochen erzählten sich Geschichten darüber, wie die Menschheit entstand. Igor Kirov beruft sich auf die Mythologie der alten Griechen: Zu Ludwig van Beethovens Ballettmusik lässt der kroatische Choreograf die exquisite Compagnie eine wunderbar fließende, rein abstrakte Version des Mysteriums tanzen, durch das Die Geschöpfe des Prometheus zum Leben erwachten.

 


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Don Karlos
Wutschweiger
Gespenster
Thea von Tauperlitz


Musiktheater
zuletzt
Die Geschöpfe des Prometheus
Hedwig and the Angry Inch
Märchen im Grand-Hotel
Dornröschen


Theater andernorts
zuletzt
Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen
Jelisaweta Bam
im Vogtlandtheater


Konzert
zuletzt
Dre Mal Wiener Klassik: Christian Zacharias dirigiert und spielt Klavier
Harfenzauber:
Ein Pionierstück und Debussys „Danses“ bei den Symphonikern
Machet die Tore weit:
Feinsinniges Adventskonzert des Kammerchors Hof
Teufelsgeigereien:
Die 24-jährige Anna Luise Kramb glänzt im Rosenthel-Theater



Film und Fernsehen
zuletzt
Nosferatu
September 5
Konklave
The Apprentice

Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Musik & Buch:
Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.