7. Dezember Wer mit dem Teufel frühstückt, muss einen langen Löffel haben. Den Antichrist zu attackieren, setzt einen archaischen katholischen Glauben an ihn, gediegene Lateinkenntnisse und reichlich Geduld voraus. Länger noch als der Löffel des Gottseibeiuns ist die Tradition des Exorzismus, die zweitausend Jahre zurückreicht. Jene ritualisierte Austreibung dämonischer Mächte nehmen Priester bei der Taufe vor, freilich so beiläufig, dass mans kaum merkt. Irritierend ins Auge fällt erst eigentlich der „Große Exorzismus“ an Menschen, denen unterstellt wird, von Beelzebub oder seinen Unholden besessen zu sein. Solche Höllenkreaturen beschwören und bannen zu wollen, und zwar auf Teufel komm raus, könnte man freisinnig für Überbleibsel eines vorzivilisatorischen Schamanismus halten – triebe nicht nach wie vor eine päpstlich sanktionierte „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ ungehemmt ihr Wesen. Kürzlich trat sie in Sacrofane bei Rom zusammen, wo sie Karel Orlita zu ihrem neuen Präsidenten wählte. Nun steht der tschechisch Priester etwa neunhundert nach vatikanischen Vorschriften praktizierenden Austreibern und ihren Assistenten vor. Wie sie die Prozedur durchzuführen haben, fasste der Heilige Stuhl erstmals 1614 im „Rituale Romanum“ zusammen, das die einschlägigen Evangeliumsverse und Psalmen, Litaneien und Segnungen sowie die symbolischen Handlungen vom Weihwasser-Sprengen über die Handauflegung bis zum Kreuzschlagen aufführt; 1999 modernisiert, lässt der Leitfaden nun auch Erkenntnissen der Medizin und Psychiatrie gelten. Heilige Maßregeln gegen den Leibhaftigen – eine Wohltat für den heimgesuchten Menschen? Ganz so grausig wie in William Friedkins Kinoschocker „Der Exorzist“ von 1973 geht es dabei wohl kaum zu. Wie weit sich gleichwohl der Aberglaube oder Glaube an die Wirksamkeit der okkulten Bräuche bis zur Wirklichkeit vorwagt, zeigt nicht nur der Fall der 23-jährigen, von epileptischen Anfällen und einer Psychose geplagten Anneliese Michel, die auf Geheiß vermeintlicher Stimmen in ihrem Kopf jede Nahrung verweigerte und auf 31 Kilogramm abmagerte, bis sie 1976 in Klingenberg bei Aschaffenburg an Auszehrung starb – nachdem nicht weniger als 67 „Große Exorzismen“ der angeblich bösen Geister in ihr hatten Herr werden sollen. Auch in der Gegenwart kann sich Ähnliches ereignen: Derzeit stehen in Italien 483 Priester, von ihren Bischöfen eigens dazu bestellt, für den speziellen „Heilungs- und Befreiungsdienst“ bereit, in den Vereinigten Staaten 62, in Mexiko 48 … Allein Pater Gabriele Amorth, der ihre Weltvereinigung 1990 gründete und ihr bis zu seinem Tod 2016 vorstand, will in Zehntausenden von Fällen aktiv geworden sein. Sollte eine Kirche, die an derart atavistischen Praktiken festhält, von allen guten Geistern verlassen sein? Verstört von zunehmend irrationalen Diskursen auf allen Gebieten, kommt heutzutage auch der leicht in Teufels Küche, der gegen solcherart Auswüchse einer heillosen Religiosität Gründe der aufgeklärten Vernunft anzuführen wagt. Nicht etwa die bedauernswerten Patienten der Bezirkskliniken haben den Teufel im Leib, sondern diabolische Gewaltherrscher, infernale Falken und un-heilige Krieger, die dafür sorgen, dass in der Welt gerade mal wieder der Teufel los ist. Ob solche Kräfte, die „stets das Böse wollen“, dadurch letztlich „das Gute schaffen“, wie Goethes Mephisto es für sich in Anspruch nimmt? Weiß der Teufel. ■
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Rückblick
2. Dezember, Hof
Mindestens 25 Mal hatte es in Hof zuvor schon gebrannt - doch das letzte Großfeuer, am 4. September 1823, wütete am schlimmsten: Binnen sieben Stunden vernichtete das Inferno weite Teile der Stadt. Von der Katastrophe vor jetzt zweihundert Jahren, zugleich von der unerwartet schnellen Wiedergeburt Hofs im Zeichen der biedermeierlichen Bürgerkultur erzählt das Museum Bayerisches Vogtland.
29. November, Hof, Theater, Studio
222 Millionen Euro: So teuer war vor sechs Jahren der kostspieligste Spielertransfer im internationalen Fußball. Dass zwar die Geschäftemacherei, aber keineswegs die Gefühllosigkeit in der Kicker-Provinz etwas kleiner ausfällt, führt das Drei-Personen-Match Der rote Löwe vor: Unter Ralf Hockes Leitung spult sich ein perfektes Dialogstück in perfekter Dialogregie ab - übrigens genau mit der Länge eines Fußballspiels.
Theater Hof
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Die Eisbärin
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Das Hofer Atrium-Quintett mit klassisch-romantischer und -moderner Bläsermusik
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Birgit Süß: Das Graue vom Himmel
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Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
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125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker
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Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten
Katakomben in Rom, Paris, Wien
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