Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

25. März, Hof, Theater, Studio
„Wem zwölf genügen, dem ist nicht zu helfen“, meinte Erich Kästner und dachte sich gleich 13 Monate aus. Einen literarisch-musikalischen Abend lang tragen Julia Boegershausen und Björn Bewerich aus Görlitz den Gedichtzyklus als vergnüglichen Liederreigen vor. Das poetische Gastspiel des Duos macht in Kästners „Einsiedelei des Herzens“ auch mancherlei melancholische „Ungereimtheiten“ ausfindig.

25. März, Selb, Rosenthal-Theater
Immer wieder setzen die Hofer Symphoniker Werke von Komponistinnen auf ihre Programme. Nun hatten sie noch dazu eine junge Dirigentin ans Pult geladen: Holly Hyun Choe erfreute das Publikum mit Werken der Französin Louise Farranc und Robert Schumanns. Tillmann Höfs, noch jünger als sie, erweist sich beim ersten Hornkonzert von Richard Strauss als ausgereifter Meister seines Instruments.



Eckpunkt
Dicke Brocken

Von Curiander

18. März   Gern wär er ein harter Hund gewesen. Ein schwerer Brocken war er immerhin. Seine Fettleibigkeit verdankte Max Reger einem notorisch immensen Fleisch- und Alkoholkonsum. Doppelt suchtkrank war der Komponist -  zumindest insofern also mag die Aktion für fragwürdig gelten, mit der am Montag Weiden in sein „Jubiläumsjahr“  startete: Dort wurde, beim „Pre-Opening“, ein „etwas stärkeres, eigens kreiertes Festbier“ verkostet, das „mit Sicherheit ganz im Sinne Regers gewesen“ wäre, wie Oberbürgermeister Jens Meyer versicherte. Der „etwas stärker“ gebaute Tonsetzer, der vor 150 Jahren, am 19. März 1873, im oberpfälzischen Brand, nicht weit von Marktredwitz und Tirschenreuth, zur Welt kam, hatte sein exzessiv ins Monumentale strebende Leben nach nur 43 Jahren aufgebraucht, saufend, schlemmend – pausenlos schaffend. Als selbst ernannter „Akkordarbeiter“ hinterließ er ein Riesenœvre, das 23 CDs mit Kammer-, sechzehn mit Orgel-, zwölf mit Klaviermusik umfasst, dazu Orchesterwerke für mindestens ein Dutzend weiterer Platten, gut und gern 250 Lieder, Chorstücke … Hauptsache, reichlich, immer und von allem. Aber ein harter Hund war Reger nicht. Schwankend zwischen Euphorie und Erschöpfung, witterte er mimosenhaft überall Intrigen. Unstet durchzog er die Lande auf fortwährenden Reisen, zunehmend gefeiert, gar mit einem Festival geehrt. Und doch hetzte ihn sein „bipolarer“ Geist von einem manischen Geniegipfel zum nächsten Krater der Depression. Auf den vielen Porträtfotos formen nicht die Augen, sondern die wulstig-fleischigen Lippen das Hauptmerkmal seiner Physiognomie – der mehr herausfordernde als ausdrucksvolle Mund eines Genussmenschen. Und doch: der Mund eines Ausdruckskünstlers. Musik diente Reger als Medium seines hitzigen oder empfindsamen, jedenfalls stets erregten Bedürfnisses nach Expression. Ratio und Pathos, kalkulierende Vernunft und unmittelbare Gefühlsansprache des Hörers verbanden sich darin. Als Weidener Schüler hatte er fünfzehnjährig eine Bayreuther Festspielaufführung von Richard Wagners „Parsifal“ erlebt: sein Erweckungserlebnis. Die „großen B“, Beethoven, Brahms und, allen voran, Bach wählte er sich zu erzheiligen Idolen. Der Übermenschlichkeit der eigenen Lebensleistung war er sich bewusst und begriff sie als „radikal fortschrittlich“. Indes fühlte er sich von den Neutönern unter seinen Kollegen als Zuspätgekommener gering geachtet. Dabei imitierte er die verehrten Vorbilder der Vergangenheit nicht, sondern verwandelte sich ihre Errungenschaften in Demut an. Was die kontrapunktisch ausgefeilte – auch schon mal ermüdend unübersichtliche – Komponier- und Fugentechnik seiner Tonsprache anbelangte, konnte ihm kein Konkurrent so leicht das Wasser reichen. Bewusst als schwere, dicke Brocken sind viele Werke konzipiert: vieles, was für die Orgel entstand, das Violin-, das Klavierkonzert, der oratorische „100. Psalm“. Weit vertraulicher spricht sein Eigenidiom sich etwa in der orchestralen „Romantischen Suite“ oder den „Vier Tondichtungen nach Bildern von Arnold Böcklin“ aus. Den Einsiedler“, ein kurzes Stück Vokalsymphonik für Bariton, Chor und Orchester (oder Klavier) nach Joseph von Eichendorffs traumhaft-traurigen Versen, hat er knapp ein Jahr vor seinem Tod, im Weltkriegsjahr 1915, als eine seiner letzten Partituren vollendet – in jeder Hinsicht vollendet: Zum „Schönsten, was ich je geschrieben“, zählte er selber das Bekenntnisstück, zu Recht. „Komm, Trost der Welt, du stille Nacht, / der Tag hat mich so müd gemacht“: aus der Feder eines erst 42-Jährigen ein Requiem in eigener Sache. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.






Rückblick

21. März, Hof, Theater, Großes Haus
Bei Martyn Jacques, dem Chef der berühmten britischen „Tiger Lillies“, hat Reinhardt Friese die Musik für das Ballett-Musical Der Soldat und die Tänzerin in Auftrag gegeben. In seinem Text wendet der Intendant die Botschaft des Märchens von Hans Christian Andersen auf den Dichter selbst an, der sich als gescheitert ansah. Das Publikum der Uraufführung feierte nicht zuletzt die Bilder mit stehendem Applaus.

21. März, Wunsiedel, Fichtelgebirgshalle
Erwin Pelzig, der unterfränkische Schalk unterm Hütli des trotteligen Kleinbürgers, ist mit den Jahren ein Anderer geworden: Frank-Markus Barwasser hat den Verstand seiner prominenten Satirefigur mit noch mehr Informationen zur Lage der Nation und der Nationen aufmunitioniert und erlaubt ihr noch mehr Bissigkeit. Als Pelzig seine Finger auf den „wunden Punkt“ legt, sind vierhundert Besucher begeistert. 


Theater Hof
Schauspiel
zuletzt
Kasimir und Karoline
norway.today
Bruder Eichmann
Abgrund

Musiktheater
zuletzt
Der Soldat und die Tänzerin
Die weiße Rose
Feuervogel/Petruschka
Paris, mon amour

Vogtlandtheater (Plauen):
zuletzt
Die Jungfrau von Orléans
Geschlossene Gesellschaft
Frühlings Erwachen (Live fast, die young)
Wunschkonzert/Warum läuft Herr R. Amok?
(Staatsschauspiel Dresden)


Studiobühne Bayreuth
zuletzt
Glückliche Tage
Die Quizkönigin
Die Blechtrommel
Das Original


Theater andernorts
zuletzt
Tristan bei den Bayreuther Festspielen
Amadeus
auf der Luisenburg
Trolle unter uns
auf der Luisenburg
Celine
im Selber Rosenthal-Theater


Konzert
zuletzt
Femininer Abend: In Selb ehren die Symphoniker die Frauen
Glaube, Liebe, Hoffnung:
Die Symphoniker interpretieren Brahms und Hans Rott
Max Baumann: Kompositionen des Kronachers beim Duo-Abend in Rehau
Das Vaterunser als Thema für Orgelvariationen in Hof


Film und Fernsehen
zuletzt
Im Westen nichts Neues
Sonne und Beton
Caveman
Operation Fortune


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Die 13 Monate: Mit Kästner durchs Jahr
Pelzig alias Barwasser in Wunsiedel
Karl Valentin
alias Michael Lerchenberg
Six Pack
bei der Rehau-Art


Anderes
zuletzt
Peter-Michael Tschoepe: Mammut-Ausstellung seiner Arbeiten in Hof
Bücher & Musik:
Reinhart-Grafiken in Hof, Klenner-Ottos Biografie, Haydns Sonaten
Das Ich im Comic:
Wie viel Erich Ohser steckt in e. o. plauen?
„Fassbinder Schygulla Ballhaus“: Jüngste Filmgeschichte in der Freiheitshalle


Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

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Das neue Buch
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.


Weiterhin im Buchhandel
und im Internet erhältlich


VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Krise auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die greifbare Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.