Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

24. Dezember, Hof, Theater, Studio
Über Moral und Menschenwürde, „Sünde“ und „Sittenwidrigkeit“ denken wir heute anders als vor 142 Jahren, als Henrik Ibsens Gespenster ans Licht der Theaterwelt traten. Gleichwohl inszenierte Philipp Brammer das Stück spannungsgeladen als konzentriertes Kammerspiel und beweist zwingend: Die Dialoge in ihrer überdauernden Gültig- und Zielstrebigkeit haben ihre Kräfte noch lange nicht verbraucht.



Eckpunkt

Im Lächeln liegt das Heil

Von Curiander

19. Dezember 2024   In ernsten Zeiten vergeht uns das Lachen, und sobald es um offizielle Dokumente geht, bleibt nicht einmal ein Lächeln übrig. Auf Passfotos sollen wir „mit neutralem Gesichtsausdruck und geschlossenem Mund gerade in die Kamera blicken“, so schreibt es eine „Mustertafel“ auf dem „Personalausweisportal“ des Bundesinnenministeriums bürokratisch-bündig im Internet vor – und das bedeutet, einer freundlicheren Formulierung des Auswärtigen Amtes zufolge: „Lächeln ist ausnahmsweise nicht erwünscht.“ Seither verhunzen Pässe, Kennkarten, Führerscheine durch biometrische Lichtbilder unsere angeborene Liebenswürdigkeit, eine allgemeine seelische Deformation, die sich global breitmacht wie eine Pandemie: Überall in der EU, auch beispielsweise in Australien, Neuseeland oder Kanada wird ein Schmunzelgesicht, erst recht ein Lachen mit geöffneten Lippen etwa auf der Fahrerlaubnis nicht akzeptiert; desgleichen in etlichen Bundesstaaten der USA, obwohl ausgerechnet dort der künftige Präsident Freund und Feind gern die gebleachten Zähne zeigt. Und die Front der physiognomisch ausdruckslosen „Neutralität“ bleibt starr. Vor dem tschechischen Verfassungsgericht unterlag dieser Tage letztinstanzlich ein Mann, der, indem er seinen Zügen konsequent jede Strenge verbot, durchsetzen wollte, in seinem Ausweis „die Mundwinkel nach oben ziehen“ zu dürfen, wie es in Medienmeldungen hieß. Dabei berief der Kläger sich auf religiöse Gründe: Er bekennt sich zur „Ecclesia Risorum“, einer – nicht gesetzlich anerkannten – „Kirche des Lächelns“, die missionarisch in Wort und Tat mit dem Heilsversprechen unterwegs ist, in der offen sichtbaren Äußerung fröhlichen Gestimmtseins lägen Segen und Seligkeit der Menschen beschlossen. Sofern dieser Glaubenssatz der Wahrheit entspricht, müssen auch wir Deutschen uns für dringend erlösungsbedürftig halten, begegnen uns doch beim kopflosen Weihnachtseinkauf in der Innenstadt ebenso wie beim gelasseneren Spaziergang im trostlos entlaubten Park kaum Artgenossen und -genossinnen, deren Mienenspiel von Glücksgefühlen und basalem Wohlbehagen kündet. Darum: Augen auf auch im Bewerbungsgespräch, und vor allem: Mund zu! Wer bei derlei Gelegenheiten darauf setzt, dem Gegenüber durch ein Lächeln Sympathie zu signalisieren und selbst sympathisch zu erscheinen, zieht leicht den Kürzeren, wie vor zwei Jahren eine US-amerikanische Metastudie ergab: Oft nämlich missdeuten Personalentscheider solcherart bezeigtes Entgegenkommen als Unsicherheit, Unterwürfig-, wenn nicht Unehrlichkeit. Empfiehlt es sich also, um auf den ersten Blick Souveränität auszustrahlen, von vornherein betont klug, nüchtern professionell, seriös geradlinig aufzutreten? Auch wieder nicht. Denn In unserer Welt und Umwelt, wo es mancherorts gar nichts zu lachen gibt, droht sich der Seuchenkeim trocken übertriebener Selbstachtung und nivellierender Humorlosigkeit ohnehin stark zu vermehren, und nur wenigen gelingt es, sich dauerhaft immun zu halten, indem sie sich wenigstens bei platten Comedys vor Lachen auf die Schenkel klopfen und einander Horden seelenloser Grins-Emojis auf die Handys schicken. Dabei verläuft die Grenze zwischen Qual und Quatsch fließend: Dann und wann geschieht sowohl, dass wir uns vor Schmerzen krümmen, als auch, dass wir uns schief- und bucklig wiehern wollen. Wer die Wahl hat, sollte, zumal in ernsten Zeiten, lieber Tränen lachen als Rotz zu Wasser heulen. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

17. Dezember, Hof, Theater, Großes Haus
Operetten sollen Märchen sein: schön statt wahr. Ein Bühnenstück von Paul Abraham, das über achtzig Jahre lang unverdient vergessen blieb, heißt sogar so: Märchen im Grand-Hotel. Zurzeit kehrt es epidemisch auf die deutschen Bühnen zurück. In Hof bringen Regisseurin Cornelia Poppe und Dirigent Michael Falk sowie, aus dem Ensemble,  Carolin Waltsgott und Markus Gruber das Stück zum Sprudeln.

14. Dezember, Bücher & Musik
Historische Fernfahrten führen erst zu Sonne, Mond und Sternen, dann durch die 2000-jährige Weltgeschichte der Alchemie, schließlich durch Bayern als „Raum“. Bachs „Goldberg-Variationen“ erklingen ausnahmsweise für Orchester, vierhändige Kompositionen einer Französin auf dem Steingraeber-Flügel. Das Gropius-Quartett überzeugt mit seinem CD-Debüt, und Autor Harald Gröhler muss raus aus dem Land.

 


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Gespenster
Thea von Tauperlitz
Die Mausefalle
Das Wunder von Hof


Musiktheater
zuletzt
Märchen im Grand-Hotel
Dornröschen
Der Duftmacher
Die Krönung der Poppea


Theater andernorts
zuletzt
Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen
Jelisaweta Bam
im Vogtlandtheater


Konzert
zuletzt
Harfenzauber: Ein Pionierstück und Debussys „Danses“ bei den Symphonikern
Machet die Tore weit:
Feinsinniges Adventskonzert des Kammerchors Hof
Teufelsgeigereien:
Die 24-jährige Anna Luise Kramb glänzt im Rosenthel-Theater
Der Process: Die Kafka-Band vertont den berühmtesten Roman ihres Namenspatrons



Film und Fernsehen
zuletzt
Konklave
The Apprentice
58. Internationale Hofer Filmtage
To the Moon


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Musik & Buch:
Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.