Eckpunkt
Die Erbsubstanz
Von Curiander
17. Mai Manche sagen, so gut wie Luigi Miraglia spreche niemand sonst auf der Welt Latein. Nicht nur, dass der 56-Jährige vom Blatt weg Texte aus dem alten Rom lesen und verstehen kann; er vermag in der vermeintlich „toten“ Sprache des Imperiums lebendig zu parlieren. In Frascati bei Rom leitet er die Accademia Vivarium Novum, wo allsommerlich Menschen aller Altersgruppen täglich bis zu zwölf Stunden lang die Schulbank drücken, um es ähnlich weit zu bringen. „In zwei Monaten“, versicherte Miraglia der dpa, „lernt man hier mehr als in fünf Jahren auf der Schule.“ Dort indes, an den Gymnasien hierzulande, gilt Latein oft als Problemfach – dabei rangiert es nach Englisch und Französisch auf Platz drei der am meisten gewählten Fremdsprachen. Was jetzt also: „Tot oder lebendig!?“ So heißt eine am Freitag eröffnete Ausstellung, die bis zum 8. Januar im mittelalterlichen Kloster Dalheim bei Lichtenau im Kreis Paderborn den durch 2100 Jahre schwankenden, nie aber gegen Null gehenden Stellenwert der „Muttersprache Europas“ bemisst. Flüssig dahingeplaudertes Latein mag heute – wie Esparanto – als elitäre Geheimniskrämerei von Sprachverliebten gelten; und doch rettete sich die alte Sprache in mancherlei Gestalt bis in die Gegenwart. Dennoch rät Jürgen Gerhards, Soziologie-Professor in Berlin, davon ab, Kinder Latein lernen zu lassen. Zwar brachte es der Experte selbst bis zum großen Latinum. Doch davon ausgehend, „dass Lernzeit eine begrenzte Ressource“ sei, und angesichts der fortschreitenden Globalisierung sollten junge Menschen besser durch Englisch, Französisch, Spanisch ihre künftige Kommunikationsfähigkeit erweitern. Liebgewonnene „Sekundärfunktionen“ würden überschätzt: Der Forschungsstand zeige, dass an ihnen nichts dran sei. Gerade auf sie aber verweisen die Befürworter des Lateins, die in ihm sozusagen die Erbsubstanz der europäischen Kultur erkennen. Mit Blick auf seine geradezu modellhaft klare Architektur verweisen sie auf die Förderung des logischen Denkens, auf ein generell tieferes Verständnis für grammatikalische Zusammenhänge, auf Erleichterungen beim Erwerb anderer, namentlich romanischer Fremdsprachen. Und sie sind überzeugt: Wer in die alte Sprache und ihre Literatur eintauche, gehe in der Gegenwart mit vielen Fremdwörtern problemlos um und entwickle von Jugend auf ein Gefühl für Sprache ‚an sich‘ wie für etliche Sprachen des Kontinents; früh eigne er sich Methoden strukturierten Lernens an und erhöhe die eigene „Lesekompetenz“, die allgemein seit Jahren bedenklich sinkt; zudem erarbeite er sich einen Direktzugang zu Geschichte und Charakter des ausgedehnten christlich-abendländischen Kulturkreises. In dem diente Latein einst als Identität stiftendes Leitmedium und verbindende Verkehrssprache. Letzteres hat sich, zugegebenermaßen, sogar im Vatikan geändert. Dennoch werden nach wie vor sämtliche päpstliche Urkunden und Verlautbarungen auf Latein publiziert – wo doch die Welt heute voller Dinge steckt, von denen die alten Römer keine Ahnung haben konnten. Um diesem Manko abzuhelfen, erstellt die päpstliche Lateinakademie das „Lexico recentis Latinitatis“ mit über 15.000 gegenwartstauglichen Neologismen: „neapolitarum latronum grex“ für die „Räuberbande“ der Camorra, „acetaria aringorum“ für den Heringssalat, und (weniger überraschend) „praeservativum“ für das Kondom. ■
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