19. Dezember 2024 In ernsten Zeiten vergeht uns das Lachen, und sobald es um offizielle Dokumente geht, bleibt nicht einmal ein Lächeln übrig. Auf Passfotos sollen wir „mit neutralem Gesichtsausdruck und geschlossenem Mund gerade in die Kamera blicken“, so schreibt es eine „Mustertafel“ auf dem „Personalausweisportal“ des Bundesinnenministeriums bürokratisch-bündig im Internet vor – und das bedeutet, einer freundlicheren Formulierung des Auswärtigen Amtes zufolge: „Lächeln ist ausnahmsweise nicht erwünscht.“ Seither verhunzen Pässe, Kennkarten, Führerscheine durch biometrische Lichtbilder unsere angeborene Liebenswürdigkeit, eine allgemeine seelische Deformation, die sich global breitmacht wie eine Pandemie: Überall in der EU, auch beispielsweise in Australien, Neuseeland oder Kanada wird ein Schmunzelgesicht, erst recht ein Lachen mit geöffneten Lippen etwa auf der Fahrerlaubnis nicht akzeptiert; desgleichen in etlichen Bundesstaaten der USA, obwohl ausgerechnet dort der künftige Präsident Freund und Feind gern die gebleachten Zähne zeigt. Und die Front der physiognomisch ausdruckslosen „Neutralität“ bleibt starr. Vor dem tschechischen Verfassungsgericht unterlag dieser Tage letztinstanzlich ein Mann, der, indem er seinen Zügen konsequent jede Strenge verbot, durchsetzen wollte, in seinem Ausweis „die Mundwinkel nach oben ziehen“ zu dürfen, wie es in Medienmeldungen hieß. Dabei berief der Kläger sich auf religiöse Gründe: Er bekennt sich zur „Ecclesia Risorum“, einer – nicht gesetzlich anerkannten – „Kirche des Lächelns“, die missionarisch in Wort und Tat mit dem Heilsversprechen unterwegs ist, in der offen sichtbaren Äußerung fröhlichen Gestimmtseins lägen Segen und Seligkeit der Menschen beschlossen. Sofern dieser Glaubenssatz der Wahrheit entspricht, müssen auch wir Deutschen uns für dringend erlösungsbedürftig halten, begegnen uns doch beim kopflosen Weihnachtseinkauf in der Innenstadt ebenso wie beim gelasseneren Spaziergang im trostlos entlaubten Park kaum Artgenossen und -genossinnen, deren Mienenspiel von Glücksgefühlen und basalem Wohlbehagen kündet. Darum: Augen auf auch im Bewerbungsgespräch, und vor allem: Mund zu! Wer bei derlei Gelegenheiten darauf setzt, dem Gegenüber durch ein Lächeln Sympathie zu signalisieren und selbst sympathisch zu erscheinen, zieht leicht den Kürzeren, wie vor zwei Jahren eine US-amerikanische Metastudie ergab: Oft nämlich missdeuten Personalentscheider solcherart bezeigtes Entgegenkommen als Unsicherheit, Unterwürfig-, wenn nicht Unehrlichkeit. Empfiehlt es sich also, um auf den ersten Blick Souveränität auszustrahlen, von vornherein betont klug, nüchtern professionell, seriös geradlinig aufzutreten? Auch wieder nicht. Denn In unserer Welt und Umwelt, wo es mancherorts gar nichts zu lachen gibt, droht sich der Seuchenkeim trocken übertriebener Selbstachtung und nivellierender Humorlosigkeit ohnehin stark zu vermehren, und nur wenigen gelingt es, sich dauerhaft immun zu halten, indem sie sich wenigstens bei platten Comedys vor Lachen auf die Schenkel klopfen und einander Horden seelenloser Grins-Emojis auf die Handys schicken. Dabei verläuft die Grenze zwischen Qual und Quatsch fließend: Dann und wann geschieht sowohl, dass wir uns vor Schmerzen krümmen, als auch, dass wir uns schief- und bucklig wiehern wollen. Wer die Wahl hat, sollte, zumal in ernsten Zeiten, lieber Tränen lachen als Rotz zu Wasser heulen. ■
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Rückblick
17. Dezember, Hof, Theater, Großes Haus
Operetten sollen Märchen sein: schön statt wahr. Ein Bühnenstück von Paul Abraham, das über achtzig Jahre lang unverdient vergessen blieb, heißt sogar so: Märchen im Grand-Hotel. Zurzeit kehrt es epidemisch auf die deutschen Bühnen zurück. In Hof bringen Regisseurin Cornelia Poppe und Dirigent Michael Falk sowie, aus dem Ensemble, Carolin Waltsgott und Markus Gruber das Stück zum Sprudeln.
14. Dezember, Bücher & Musik
Historische Fernfahrten führen erst zu Sonne, Mond und Sternen, dann durch die 2000-jährige Weltgeschichte der Alchemie, schließlich durch Bayern als „Raum“. Bachs „Goldberg-Variationen“ erklingen ausnahmsweise für Orchester, vierhändige Kompositionen einer Französin auf dem Steingraeber-Flügel. Das Gropius-Quartett überzeugt mit seinem CD-Debüt, und Autor Harald Gröhler muss raus aus dem Land.
Theater Hof
Schauspiel
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Gespenster
Thea von Tauperlitz
Die Mausefalle
Das Wunder von Hof
Musiktheater
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Märchen im Grand-Hotel
Dornröschen
Der Duftmacher
Die Krönung der Poppea
Theater andernorts
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Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress in Plauen
Jelisaweta Bam im Vogtlandtheater
Konzert
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Harfenzauber: Ein Pionierstück und Debussys „Danses“ bei den Symphonikern
Machet die Tore weit: Feinsinniges Adventskonzert des Kammerchors Hof
Teufelsgeigereien: Die 24-jährige Anna Luise Kramb glänzt im Rosenthel-Theater
Der Process: Die Kafka-Band vertont den berühmtesten Roman ihres Namenspatrons
Film und Fernsehen
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Konklave
The Apprentice
58. Internationale Hofer Filmtage
To the Moon
Kleinkunst, Kabarett, Comedy
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Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß: Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht: Günter Grünwald in Hof
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Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Musik & Buch: Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust
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Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
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Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers
Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online