Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)

Bücher & Musik

14. Dezember 2024   Sonne, Mond und Sterne – Bachs „Goldberg-Variationen“ für Orchester – Auf der Suche nach dem Stein der Weisen – Abschiedswerke mit dem Gropius-Quartett – Bayern als „Geschichtsraum“ – Harald Gröhler, „verwundernswert“ – Klaviermusik zu zweit von Liszts Musterschülerin.


Von Michael Thumser

■ Karen Masters: Die Geschichte der Astronomie. – Übersetzt von Dörte Fuchs und Jutta Orth. Haupt-Verlag, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen, gebunden, 38 Euro.
Eine Revolution bedeutet selten Gutes. Dabei ist das lateinische Ursprungswort von Grund auf wertfrei: revolutio, für Umlauf, Um- oder Zurückwälzung. „De revolutionibus orbium coelestium“ hieß die 1543 in Nürnberg gedruckte Schrift des Nikolaus Kopernikus – „Sechs Bücher über die Umlaufbahnen der Himmelskörper“. Weil das Buch den bis dahin geltenden Geozentrismus widerlegte, den der römische Alexandriner Claudius Ptolemaeus anderthalb Jahrtausende zuvor in seinem „Almagest“ festgelegt hatte, trägt die von dem ostpreußischen Domherrn eingeleitete Revolution als „Kopernikanische Wende“ bis heute seinen Namen: Die Sonne, statt der Erde, stellte sie ins Zentrum des Planetensystems.

     Zwei kosmische Konzepte – zwei von 115 grundlegenden Werken der Himmelskunde, denen die Autorin ihre bibliophile Aufmerksamkeit widmet, um an ihnen beispielhaft die Geschichte ihrer Wissenschaft zu erzählen. Eine gut sortierte imaginäre Bibliothek durchquert sie, von „Peri uranú“ (oder „De caelo“), einem der Hauptwerke des Aristoteles, bis zu Stephen Hawkings „Kurzer Geschichte der Zeit“. Zugleich lässt sich ihr Buch wie ein verständlicher Grundkurs ins Fach lesen und betrachten. 

     An europäischen Kapazitäten wie den Herren Brahe und Kepler, Galilei oder Herschel kommt die 45-jährige US-amerikanische Hochschul-Astronomin vorüber, blickt jedoch auch zu den genialen Imaginationen der Araber und noch weiter zu den Kosmologien etwa des frühen Fernen Ostens oder des präkolumbischen Lateinamerikas. Überdies darf Masters es sich als Verdienst anrechnen, neben einer überwiegenden Mehrheit von Männern auch ein paar einflussreiche Sternguckerinnen namhaft zu machen: so die drei Marien Lalande, Somerville und Ward.

     Seit Anbeginn wurde Astronomie zur Nutzanwendung betrieben, etwa um Zeitpunkte für Saat und Ernte zu ermitteln oder sich über Glück und Schicksal klar zu werden. Denn Astrologie war sie die längste Zeit auch. Stets aber hielten die seriösen unter den Koryphäen aller Epochen und Weltgegenden sie als möglichst exakte Wissenschaft hoch. Frappierend veranschaulichen die zahllosen Illustrationen des gut lesbaren Bandes, mit welcher Genauigkeit die Gelehrten den Himmel über sich auf Plänen, Globen und in Atlanten kartografierten; und mit welch geistvoller Fantasie sie die verstreuten Lichtpunkte zu Bildern zusammenschauten: zu Bär oder Tiger, zum Wassermann, „Wintermacher“ oder Elch. Später versicherten sie sich mit Fernrohren, Teleskopen und von Observatorien aus allmählich, dass es sich beim Firmament nicht um ein festes Gewölbe oder ein Konstrukt konzentrischer, klingender Kristallschalen handelt.

     Indem die Experten von der Erde aus ‚nach draußen‘ blicken, forschen sie auch ‚nach innen‘, blicken längst immer tiefer hinein in die Galaxis und zum Schwarzen Loch als deren Kern. Unterm Aspekt kosmischer Unendlichkeit betrachtet, liegt die Erkenntnis weniger als einen Wimpernschlag zurück, dass es in der Milchstraße mehrere hundert Milliarden Sterne und im Weltall wohl hundert Milliarden Galaxien gibt. So porträtiert Karen Masters die Astronomie nicht nur als exakte Naturwissenschaft, sondern auch als interpretierende, reflexive, kontextuelle Geisteswissenschaft: Ihre Bilder-Geschichte handelt vom Anschauen des Himmels und den Anschauungen über ihn, von seiner kreativen Darstellung, vom Mutmaßen über Sonne, Mond und Sterne und vom spekulierenden Denken über Raum und Zeit im denkbar größten Maßstab.

■ Felix Mendelssohn Bartholdy, George Alexander Albrecht, Antonín Dvořák: Streichquartette. – Gropius-Quartett, 1 CD, Hänssler Classic, Nr. HC23076, etwa 17 Euro.
Kommt da Schlimmes auf die vier zu? Bang und bebend stürzt sich das Gropius-Quartett in den Kopfsatz des f-Moll-Werks opus 80, mit dem Mendelssohn schmerzzerrissen ein Epitaph für seine betrauerte Schwester Fanny aufrichtete; nur wenige Wochen danach starb er selbst, ihr hinterher. In Antonín Dvořáks (leider viel zu oft eingespieltem) „amerikanischem“ F-Dur-Quartett opus 96 brechen durch eine scheinbar nicht zu trübende Naturfrische die Traurigkeit des Lentos und, mehr noch, die gespenstischen Unheimlichkeiten im Scherzo. Insgesamt vier Werke, drei große und eine Zugabe (von Pablo Casals), stellte das Ensemble zusammen und setzte sich dabei vor allem mit bedeutenden Namen und prominenten Partituren auseinander.

     Zu (mindestens) drei Städten unterhält das Ensemble mehr oder weniger enge Beziehungen. Einmal zu den Lebensmittelpunkten seines Namenspatrons Walter Gropius, zu Berlin und Weimar: Dem visionären Begründer des Bauhauses und seinen Haupttugenden „Klarheit und Kühnheit“ folgend, ist es der Gruppe – in der Indira Koch und Friedemann Eichhorn die Geigen spielen – darum zu tun, „die Struktur eines Werkes freizulegen und durch leidenschaftliche Interpretation lebendig zu machen“. Dies gelingt durchweg vortrefflich. Zum andern liegt auch Hof im Einflussgebiet: Dort, bei den Symphonikern, hat Gropius-Bratschistin Alexia Eichhorn jahrelang als Konzertmeisterin mit der Violine amtiert, und Cellist Wolfgang Emanuel Schmidt, wiederholt Gast des Orchesters, wird es am 6. Juni dirigieren und zugleich den Solopart in Aulis Sallinens „Nächtlichen Tänzen des Don Juanquixote” übernehmen.

     Das chef-d’œuvre ihres – auch aufnahmetechnisch – herausragenden CD-Debüts schuf ein Tonkünstler, der als Komponist weit weniger bekannt wurde denn als Dirigent: George Alexander Albrecht, 2021 mit 86 Jahren gestorben, schrieb drei Jahre zuvor dem Ensemble ein Quartett auf die Leiber ihrer Instrumente. „So und nicht anders geht mein Stück“, rief er kurz vor seinem Tod den Gropius-Musikerinnen und -Musikern zu, nachdem er ihre Interpretation gehört hatte. Ein Lebens- und Weltabschiedswerk, mit dessen Titel sein Schöpfer bekennt, er fühle sich endlich „Von Angst und Trauer erlöst durch die Liebe“. Die Interpreten musizieren es mit der höchst beredten Poesie, mit der es, im Ton einer gemäßigten, der Spätromantik etwa des frühen Arnold Schönberg verhafteten Moderne, komponiert ist. Poesie auch liegt den fünf ineinander übergehenden Teilen zugrunde: Zwei von Verzweiflung sprechende Gedichte Else Lasker-Schülers („Chaos“, „Mein Tanzslied“) geben den bitteren Ton der ersten Sätze an; bis die Seele, in ihrer „Urangst“, nach einem „Teufelstanz“ sich auf das berühmte Gebet Franz von Assisis besinnt - „O Herr, mach mich zum Werkzeug deiner Gnade“ - und „still“ und „feierlich“ in die unumstößliche Überzeugung letzter, höherer, ewiger „Liebe“ findet.

■ David Brafman: Die Kunst der Alchemie. – Übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow. Haupt-Verlag, 176 Seiten, zahlreiche Abbildungen, gebunden, 36 Euro.
Noch ein Bilder-Buch (wie Karen Masters’  Astronomiegeschichte, siehe oben) – und diesmal kann es gar nichts anderes sein. Denn indem der Autor im Untertitel des so wunderreichen wie wunderlichen Bandes die „Weltgeschichte“ der Alchemie buchstäblich nachzeichnet, versenkt er sich vor allem in eine Welt der Bilder. 

     Der lesende Betrachter mag den esoterischen Ursprüngen und Absichten, Schlussfolgerungen und Erfolgswegen jener keineswegs exakten Wissenschaft von ehedem kaum folgen können und wollen. Dafür eröffnet sich ihm von Seite zu Seite mehr die Einsicht, dass es sich bei ihr um eine ungemein ausgedehnte, ungeheuer komplexe Architektur aus Spiritualität, Spekulation und strengem Denken in Symbolen handelte. 

     Im alten Ägypten, in China und Indien, im Orient und namentlich in Europa spürt Brafman – am Getty Research Institute in Los Angeles „Kurator für seltene Bücher“ – Zusammenhänge auf, die sich von der Antike bis ans Ende des achtzehnten Jahrhunderts den Mystizisten offenbarten: ein Netz aus Kosmogonie und „Naturphilosophie“, Materialwissenschaft und dem Prinzip des chemischen und physikalischen Experiments samt seiner detaillierten Dokumentation. In ihren Schriften transformierte sich die ars magna, die „große Kunst“, zur darstellenden Kunst entweder skizzenhafter oder fleißig elaborierter Illustrationen, auch zu Sonderformen der Kalligrafie. Das Buch – oder die Schriftrolle –: eine Instanz höchster Autorität.

     Überhaupt war Umformung, „Transmutation“, das innere Prinzip der Alchemie. Dem „Stein der Weisen“ galt letztlich das Streben der Adepten, dem nie entdeckten, „geheimnisvollen Mineral“ und Universalmittel des solve et coagula, des Auflösens und neuerlichen Zusammenfügens. Unter seiner Einwirkung sollte sich alles Unedle in Makelosestes, wie Gold, verwandeln und alles Verwesliche, wie der Mensch, Anteil am Unvergänglichen erhalten. Ziel war die vollendete „Nachahmung der Natur“ im Labor, ein Imitat der Schöpfung, manipulierbar von Eingeweihten, die ihrerseits deren Geschöpfe waren.

     Der mittelalterlichen Kirche musste dergleichen widerstreben, fürchtete sie doch dämonische Versündigungen an den heiligen Plänen, die Gott mit Welt und Menschheit hatte. Die Aufklärung, erst recht der Entwicklungseifer des neunzehnten Jahrhunderts verwiesen die Alchemie hohnlächelnd in die Winkel der Scharlatanerie, Trickser- und Quacksalberei. Wenn David Brafman sie dennoch gleich im Vorwort als die „vielleicht wichtigste Erfindung nach dem Rad und der Beherrschung des Feuers“ apostrophiert, lässt er sich wohl von seiner Begeisterung hinreißen. Unbestreitbar aber „durchdringt ihr Geist – der Drang, die Natur umzuwandeln und sie nach dem Willen der emsigen menschlichen Fantasie zu beugen – noch heute die Welt, die wir erschaffen“: so bei der Erzeugung pharmazeutischer Präparate, der Metallurgie, der Herstellung von Sprengmitteln und, für die nach sibyllinischer Anschaulichkeit drängende Alchemie ganz wichtig, von Farben … Deren „Theorie“ wollte der französische Grundlagenforscher Michel Eugène Chevreul zu fassen kriegen, der kein Alchemist, sondern Chemiker war, aber mit unvergänglichem Leben gesegnet schien, bis er 1889 dann doch starb – mit 102 Jahren. Ihn würdigt Brafman in seinem Buch mit der Reproduktion einer Chromolithografie: „Das vollkommene Schwarz“.

■ Bernhard Löffler: Das Land der Bayern.  – Verlag C. H. Beck, gebunden, 400 Seiten, 35 Euro.
Wer – zum Beispiel – in Flensburg, Saarbrücken oder Brandenburg Menschen nach unveränderlichen Kennzeichen Bayerns fragt, trifft für gewöhnlich auf Idealvorstellungen von naturbelassenen Sonnenidyllen und beeindruckenden Gipfelpanoramen, ländlich-sittlicher Lebensbehaglichkeit und dem „Kini“, der einsam an einem Fenster von Neuschwanstein sitzt. Aus solchen Abziehbildern schaut ein Bayern heraus, das mehr die Atmosphäre der Bauernromane von Ludwig Thoma atmet als die gegenwartsgemäß feinstaubbelastete Luft des „Laptop und Lederhosen“-Freistaats.

     „Jeder kennt Neuschwanstein“: Mit diesem Satz eröffnet Bernhard Löffler sein Buch, um freilich auf den folgenden 329 Seiten (vor dem ausführlichen Anmerkungsapparat und dem Register) klarzustellen, dass, wer nur vom Traumschloss weiß, von Bayern noch lange keine Ahnung hat. Die Sache liegt weit komplizierter, das lassen schon die zehn Jahre ahnen, die der Autor – Professor für Landesgeschichte an der Regensburger Universität und, unter anderem, Mitglied der Bayerischen sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaften – in das komplexe Thema investierte. Freundlich, aber bestimmt sagt er allen „selektiven Klischees“ und zusammenhanglosen, „bewussten Konstruktionen“ den Kampf an.

     Denn „Raum, Ort oder Landschaft erschöpfen sich keineswegs in ihren topografischen Realitäten“. Indem Löffler „räumliche Zusammenhänge“ in der bayerischen Geschichte der vergangenen gut zweihundert Jahre ermittelt, will er „strukturelle Entwicklungsstränge“ zu fassen kriegen. Mithin schreibt er eine „Raumgeschichte“, die „Fragen nach der Erfassung, Gliederung und Ordnung wie nach den Wahrnehmungen, Wirkungen und Verflechtungen“ jenes Raumes in den Mittelpunkt stellt. Dabei scheut er sich nicht, das „höchst umstrittene und begründungspflichtige“ Konzept der „Raumgeschichte“ selbst zur Debatte zu stellen. Mit weitreichenden Kenntnissen, auch zunftgemäßem Fachjargon geht Löffler in seinen vielseitigen und umfassenden Ausführungen zu Werke, die nach hellköpfigen, aufmerksamen Lesenden verlangen.

     Darum könnte, wer dem achtbaren Verlag übelwollte, Aufmachung und Untertitel des Buchs für versuchte Täuschung halten. Immerhin zeigt das witzige Umschlagbild bäuerliche Matronen und Mannsbilder, die in Kittelschürzen und Krachledernen dem Betrachter dralle Rückseiten entgegenstrecken, während sie durch Spalten in einem Bretterzaun Ungeheuerliches, wenn nicht Anstößiges zu beobachten scheinen. Auch bedient sich der Autor nicht eben oft der ‚anekdotischen Methode‘, der zufolge Bayerns Geschichte in pointierten „Geschichten“ zu erzählen wäre, wie der Untertitel glauben macht. Verstärkten Anstoß dazu hätte ihm der 1986 gestorbene, von ihm im Vorwort zitierte Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger geben können: „Die Ungerechtigkeit der Welt beginnt bereits mit der ungleichen Höhe und Verteilung der Berge.“

■ Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen. Arrangiert von Robin O’Neill. – Philharmonia Orchestra, Dirigent: Robin O’Neill, 1 SACD, BIS, Nr. BIS_2658. Etwa 20 Euro.
Schlüsselwerke der klassischen Musik schreien nach Legenden, und die halten sich, egal ob mehr oder weniger Wahrheit in ihnen steckt. Von den dreißig „Goldberg-Variationen“ wird erzählt, Bach habe sie ersonnen, damit sein fähigster, erst vierzehnjähriger, doch weit über sein Alter hinaus talentierter Schüler Johann Gottlieb Goldberg sie dem Grafen Hermann Carl von Keyserlingk nächtens vorspiele; der in Dresden Dienst tuende russische Diplomat nämlich soll darin ein Mittel gegen seine quälende Schlaflosigkeit erhofft haben. Zum Ausspannen, Einnicken gar eignet sich die Komposition – vielleicht die berühmteste, sicher eine der brillantesten Variationenreihen der Musikgeschichte – allerdings nicht. Ihren im Wortsinn legendären Ruf und Rang verdankt sie Bachs singulären polyphonen Künsten, dank derer seine Einfallskraft aus einer gleichbleibenden Basslinie eine Blüte nach der andern in unüberschaubarer expressiver, rhythmischer, harmonischer Vielfalt sprießen lässt – für alle Cembalisten und Pianistinnen eine Herausforderung ihrer technischen Meisterschaft und gestischen Gestaltungskraft.

     Zahllos und aufs Unterschiedlichste wurde das Werk komplett oder in Teilen für Vokal- und Kammerensembles, auch für kuriose oder experimentelle Besetzungen arrangiert. Robert O’Neill entschied sich für ein Streichercorps, in das sich nach barocker Manier Flöte, Oboe und Englischhorn einfügen – sowie zwei Fagotte, denn wenn der Dirigent nicht dirigiert, musiziert er im Philharmonia Orchestra selbst als Fagottist. Auf diese Weise nähern sich Intonation und formale Vielfalt der Teile klanglich den „Brandenburgischen Konzerten“ Bachs oder seinen Orchestersuiten („Ouvertüren“) an: im Tutti oder konzertierend, als Triosonate, als zweistimmige Charakterminiatur. Von vornherein entging der Arrangeur der Versuchung, den Ensembleklang irgendwie in jener spätestromantischen Weise aufzufächern, in der es die Meister der Neuen Wiener Schule mit Partituren Bachs taten. Der hätte an O’Neills Transformation und ihrer hohen emotionalen Bildkraft womöglich selbst Geschmack gefunden: Sie klingt, als stammte sie vom Meister selbst.

■ Harald Gröhler: Das Land, aus dem ich herausmusste. – Zweisprachig deutsch und englisch (übertragen von Mitch Cohen), Palm-Art-Press, 150 Seiten, gebunden, 24.80 Euro.
Er hat sich weidlich umgetan in der Welt, in der richtigen und jener der Fantasie. 1938 im niederschlesischen, heute polnischen Jelenia Góra (Hirschberg) geboren, wuchs Harald Gröhler im fichtelgebirgigen Schönwald auf und ging in Hof zur Schule, wo er 1959 am Jean-Paul-Gymnasium das Abitur machte (das in seinem Wikipedia-Artikel seltsamerweise noch immer Albertinum heißt). Schon als Schüler reiste er viel, weit und „riskant“; zwei Mal lehrte er als Gastprofessor in den USA; ins Internationale griffen und greifen noch seine Verbindungen aus, nicht zuletzt nach Polen. Und sie reichen weit durch die Zeiten: Den alten Goethe hat er bei „Ausfahrten mit der Chaise“ begleitet, „Klaus Störtebeker, Volksheld und Pirat“, nahm ihn auf Kaperfahrt mit, in „Inside Intelligence“ wählte sich der Autor den „BND und das Netz der großen westlichen Geheimdienste“ zum Stoff eines investigativen Sachbuchs.

    Sein Alter von heuer 86 Jahren kann ihn offenkundig nicht ermüden. Mindestens drei Bücher verließen oder verlassen 2024 seine Schreibwerkstatt: „Nothammer“, ein Roman, der sich mit dem Thema Migration auseinandersetzt; die Gedichte der Sammlung „Tagfallen“; und „lyrische Miniaturen“ über „Das Land, aus dem ich herausmusste“, oft sehr knappe, aber auch schon mal zweiseitige Gedichte in Prosa (warum auch immer auf Deutsch und Englisch in einem Band gedruckt). Mit ihnen kehrt Gröhler – auch wenn der Verlagsmitteilung zufolge Flucht „ein häufiges Thema“ ist und „die Geschlechtervielfalt nicht außer Acht gelassen wird“ – vor allem in den eigenen subjektiven Kreis des Beobachtbaren zurück. 

     Dafür scheint ihm der arglose, auch das Unglaubliche und Märchenhafte als wirklich akzeptierende Weltdeuterblick von Kindern geeignet. Ihre Sprache, unverstellt gesättigt von der wahrgenommenen, aber oft unverstandenen Umgebung, entfalte mit jedem Lebensjahr mehr eine eigene, die Erwachsenen erleuchtende oder überraschende Wortkunst, äußerte Gröhler wiederholt. Unter diesem Eindruck entstanden bereits Teile seiner ersten eigenständigen Buchveröffentlichung, der 1981 auch in Hof öffentlich vorgestellten „Geschichten mit Kindern und ohne“. Gröhlers „zarte Kraft“, urteilte der große Peter Rühmkorf, liege in seinem „sanften Spiel mit dem Nichtgeheuren“ und besonders dort, „wo es etwas Verwunschenes und Verwundernswertes teils zu entblättern, teils zuzudecken gibt“.

■ Piano à 4 mains (Werke für Klavier zu vier Händen von Marie Jaëll, Franz Liszt und Camille Saint-Saëns). – Claudine Orloff, Burkard Spinnler, Klavier. Cypres, 1 CD, Nr. CYP2628, etwa 20 Euro.
Marie Jaëll – nie gehört? Immerhin, als im vergangenen Jahr die achtteilige CD-Edition „Compositrices“ des Labels Blue Zane/Palazetto unter Klassikfreunden verdient Furore machte, war die Dame auch dabei – eine der viel zu lang unentdeckten Tonsetzerinnen Frankreichs aus dem Jahrhundert etwa zwischen 1850 und 1950. Franz Liszt, dessen Spiel „alle Sinne“ der angehenden Pianistin „verwandelte“ und der ihr Lehrer wurde, hielt sie für eine der besten Klaviervirtuosinnen seiner Zeit, wusste aber ebenso die Komponistin in ihr zu schätzen. „Stünde über Ihrer Musik ein Männername“, da war er sich sicher, „erklänge sie auf allen Klavieren“.

     Nun erklingt sie auf einem Flügel der Bayreuther Firma Steingraeber: Dort, im hauseigenen Kammermusiksaal, haben Claudine Orloff und Burkard Spinnler im November vergangenen Jahres Jaëlls „Douze Valses et final aufgenommen“. Auf dem „Grand Piano“ klingen die zwölf Charaktertänze spielerisch mal leichtherzig,  mal schwermütig, durchweg getragen von der naiven Lyrik, die den Miniaturen von der Komponistin in Versen unterlegt wurde. Die hat sie selbst auf Deutsch geschmiedet, im Beiheft sind sie mit- und nachzulesen. Mithin erzählen Ton und Wort von „toller“ Freude und „köstlichem Traum“, von „bösen“ sowohl wie „niedlichen Kindern“, von Philosophen und Elfen, auch vom „verblühten Glück“. Im achten Walzer, in dem ein Mädchen um die Liebe eines „Hirtenknaben“ bangt, klingt sogar eigentümlich der „Leiermann“ aus Franz Schuberts „Winterreise“ an – wenn auch gleich danach „der Jüngling und sein Mägdelein“ sich beim Tanz drehen.

     ‚Erwachsener‘ im Ton, wenngleich nicht minder luzid die „Stimmen des Frühlings“ („Voix de printemps“), die Jaëll und die Interpreten sodann anstimmen: In den sechs kleinen Stücken nehmen sie den Hörer auf eine „große Straße“ und eine optimistische Reise mit, die zwar geräusch- und effektvoll in einem Sturm („L’orage“) ihren tobenden Höhepunkt findet, doch gleich danach in eine „Idylle“ mündet. Auch den Mentoren der Komponistin erweist das Duo die Reverenz: Gleichsam als Zugaben fügen sie zwei Piècen von Camille Saint-Saëns und fünf Bagatellen aus Liszts „Weihnachtsbaum“ an. Die allerletzte spielen sie auf dem „Liszt-Flügel“, den das Haus Steingraeber dem (1886 in Bayreuth gestorbenen) Tastenhengst zwischen 1878 und 1882 zur Verfügung stellte. „Ehemals“ ist das Werkchen überschrieben: Noch authentischer kann „Originalklang“ in der „historischen Aufführungspraxis“ nicht ausfallen.



Wie würdig ist der Mensch?

Schatzgräbereien im Nachlass toter Autorinnen und Autoren sind ein riskantes Geschäft. Beim vor zehn Jahren gestorbenen Siegfried Lenz allerdings gelang 2016 mit dem „Überläufer“ ein verlegerischer Coup. Jetzt traten 34 bislang unveröffentlichte oder verstreut publizierte Kurzgeschichten ans Licht.

Von Michael Thumser

2. November 2024 – Manchmal rückt einem Schriftsteller die Wirklichkeit unbemerkt näher auf den Leib, als ihm wahrscheinlich lieb wäre. Am 16. Oktober 1977 hielt sich Siegfried Lenz zusammen mit Heinrich Böll und Max Frisch sowie dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld als Gast Helmut Schmidts im Bonner Kanzlerbungalow auf; immer wieder verließ Schmidt die debattierende Runde, ohne mitzuteilen warum. Der Grund: In einem Nebenraum wurde er im Geheimen darüber informiert, wie in Mogadishu die Vorbereitungen zur Erstürmung der von RAF-Terroristen entführten Lufthansa-Maschine Landshut gediehen.

Mit einem informativen Nachwort von Maren Ermisch. 190 Seiten, gebunden, 25 Euro.

     Siegfried Lenz war nicht der Autor, aus dem Ereignis den Stoff für einen literarischen Politthriller zu gewinnen, so wenig wie seine genannten Kollegen. Für ihn fand das aktuelle Politische gleichsam in einem Nebenraum statt, ohne sich darum seiner Wahrnehmung und skeptischen Beurteilung zu entziehen. So findet sich in dem Band „Dringende Durchsage“ eine Geschichte, die der Autor einer Festschrift zu Schmidts siebzigstem Geburtstag beisteuerte und die – ausgehend von einer turbulenten Fernsehdiskussion zum Thema Naturschutz und fortgesetzt auf einem eskalierenden Demonstrationszug – davon berichtet, wie ursprünglich wohlmeinende Umweltaktivisten sich radikalisieren, wie also, um einen berühmten Untertitel Heinrich Bölls zu zitieren, Gewalt entsteht und wohin sie führen kann.

     Einer der interessantesten Texte in dem Band, den Lenz’ Hausverlag Hoffmann und Campe zum zehnten Todestag des Schriftstellers am 7. Oktober herausgab; vor allem, wenn auch nicht ausschließlich stammen sie aus dem unveröffentlichten Nachlass. Zwischen dem „menschenunwürdig“ entbehrungsreichen Nachkriegsjahr 1948 und 1957, mithin unterm Zeichen des sogenannten Wirtschaftswunders, entstand das Gros der 34 Stücke (von denen 23 zuvor ungedruckt blieben). Ersichtlich wird in ihnen, wie ein unzweifelhaft – und bekennend – bürgerlicher Zeitzeuge Zugang sucht und findet in einen Literaturbetrieb, der sich nach zwölf Jahren völkisch-brauner Dichtung wieder in die freie Welt und an ihr orientiert.

Fingerübungen und Kleinodien

Aus dem verborgenen Erbe ‚großer‘, aber toter Autorinnen und Autoren zu schöpfen, ist immer mit dem Risiko verbunden, der anerkannten ‚Größe‘ der Ausgebeuteten post mortem durch Kleinmeistereien Abbruch zu tun. Als der Verlag 2016 Lenz’ (zweiten) Roman „Der Überläufer“ 65 Jahre nach der Entstehung publizierte, trat allerdings nicht einfach ein unbekanntes Frühwerk, sondern eine seiner besten Arbeiten überhaupt ans Licht. Jetzt indes, in den Erzählungen, bekommen es die Lesenden meistenteils tatsächlich mit Talentproben und Gesellenstücken eines Erzählers zu tun, der sich erst anschickte, zu einem der bedeutendsten in Deutschland nach 1945 aufzusteigen. Mancher Text geht als Warm-up, Stilübung, Selbstversuch durch. Nicht wenig überraschen Parabeln in der Kafka-Nachfolge. Hingegen befremden manche Tiergeschichten durch ihre Nichtigkeit. Und die drei Jahre vor Lenz’ Tod für seine Frau Lilo geschriebene „Flöte“, am Ende des Bandes, wäre ihrer läppisch-idyllisierenden Süßlichkeit wegen wohl besser weggeblieben.

     Zugleich wurden andererseits Kleinodien gehoben: neben „Wie Radikalität entsteht“ etwa die „Abschiedsrede“, die nach einer Schwindelei aus Sympathie und einem zwischenmenschlichen Verrat gehalten wird. Geradezu frühreif brillant stellt die doppelbödige, temporeich hingeworfene, dennoch elaboriert lakonische Skizze „Bei Godickes und Gieses“ zwei Kriegsheimkehrer nebeneinander, die jeder auf seine Weise Tritt fassen im sich wieder aufbauenden, wieder restaurierenden Neu-Deutschland: „Das ‚menschenunwürdige‘ Dasein hatte ein Ende. Ja? Wie würdig ist denn der Mensch?“ Diese frühe Frage sollte sich durch das Schaffen des Autors bis in die letzten Werke ziehen.

     Das Buch eines ‚großen‘ Autors, freilich kein ‚großes Buch‘. Ein notwendiges? „Was unter Notwendigkeit zu verstehen sei“, fragt in der behaglichen Humoreske „Für andere hoffen“ ein Verleger einen Schriftsteller beim Feierabend-Wein. „Er fragte: Erscheint nicht das, was einigen als notwendig vorkommt, anderen als ganz und gar entbehrlich?“ Und er gibt, auf seine Bücherwände weisend, selbst die Antwort: „Hier sehen Sie die gesammelten Versuche für ein deutlicheres Leben: Literatur. Was es verdient, in ihr geehrt zu werden, das sind Mut und Mühsal, Scharfsinn und Geduld, die zu ihrer Hervorbringung nötig waren.“ An nichts davon hat es Sigfried Lenz, in frühen wie in spätern Jahren, jemals fehlen lassen.



Goethe, Gott und Gomringer
Die prominente Lyrikerin und Performerin, in Wurlitz aufgewachsen, in Bamberg in Amt und Würden und viel auf Reisen durch die Welt, trägt in Hof Texte vor allem aus ihrem jüngsten Gedichtband vor. Mit dem Himmel in gutem Einvernehmen, erlaubt sie sich doch manchen Spaß mit ihm.

Nora Gomringer: Sie gibt sich Gott nicht hin, aber sie bietet sich ihm an. (Foto: PR/Judith Kinitz 2023)


Von Michael Thumser

Hof, 18. Oktober 2024 – Ihre literarische Initiation, sagt sie, verdanke sie ihrer Mutter. Schaumgekrönt in der Badewanne liegend, in einer Hand die Zigarette elegant in langer Spitze, in der anderen ein Buch, las die Mama dem Töchterchen Geschichten von Dorothy Parker oder, wahlweise, Heiligenlegenden vor. Letztere haben Nora Gomringer nicht zur Frömmlerin gemacht und, im konventionellen Wortsinn, vielleicht nicht einmal fromm. Aber zu einer sehr persönlichen Art von Spiritualität bekennt sich die prominente Lyrikerin und Performerin durchaus, nicht zuletzt im Gedichtband „Gottesanbieterin“ und also auch in Hof, wo sie im Saalbau der Münch-Ferber-Villa aus ihm und anderen Werken vortrug. Zu dem famosen Abend eingeladen hatten sie der Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing und die Katholische Erwachsenenbildung – eine „ökumenische“ Veranstaltung, scherzte Gomringer, die sich wohl irgendwo neben oder bestenfalls zwischen den Konfessionen verortet.

     Oder neigt sie doch eher einer der zwei Kirchen zu? Zwar, in Wurlitz bei Rehau hat die leutselige Dichterin und Poesie-Performerin ein Gutteil ihrer Jugend verbracht, als Tochter des demnächst hundertjährigen Eugen Gomringer, der als „Vater der Konkreten Poesie“ in den Literaturlehrbüchern steht. Den anderen Teil aber verlebte die heute 44-Jährige im erzbischöflichen Bamberg (wo sie seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia leitet), eng verbunden mit der nicht nur römisch-, sondern ausdrücklich „rheinisch-katholischen Mutter“ und stark beeinflusst von ihr. Eine „Gottesanbieterin“: Sie gibt sich Gott nicht hin, aber sie bietet sich ihm an.

Das kann kein Zufall sein

Vor vier Jahren starb die Mutter; vor vier Jahren begann der Seuchenzug des Corona-Virus; vor vier Jahren, genau zur selben Zeit, erschien die „Gottesanbieterin“ als Gomringers bisher letztes Buch. An Zufall wird man da kaum glauben. Mag auch die Bachmann- und Lasker-Schüler-Preisträgerin ihrem „packbaren“ und lang applaudierenden Publikum im vollbesetzten Saal mit Amüsantem, Verschmitztem, artistisch Wortwitzigem durchaus gehörig Freude machen – den Schwerpunkt legt sie, wenn nicht auf Schwermut und Schwersinn, auf Nachdenklichkeit, Tiefen- und Innensicht. Im silbern eingefassten Lyrikband, der „glänzt wie das Tabernakel in Rehau“, gedenkt sie voll sanfter Melancholie ihres Freundes Tim, der sie, weil schwerkrank, davor gewarnt hatte, sich in ihn zu verlieben, und nach zwei Jahren Partnerschaft schon starb. Keine sentimental triefende Träne weint Gomringer ihm nach, sondern spiegelt ihren Abschiedsschmerz im stummen Werkeln von Tims Vater, der die Wohnung des Sohnes räumt, um sie „besenrein und blutesleer“ zu hinterlassen. Oder die Erinnerungen an Hanna, Gefährtin aus Jugendtagen: Die empfing mit vierzehn ein transplantiertes Herz, das ihr zehn Lebensjahre schenkte, mit einem „Fremdkörper“ in der Brust, „zärtlich Maschine genannt“.

     2008 wurde dieser Text Thema einer Abiturprüfung: „Neben meinem Gedicht stand eines von Goethe zur Auswahl“, plaudert Gomringer mit gespieltem Stolz – denn auch das gehört zu ihrem Auftritt: das Parlieren, Plauschen und Palavern, die geistreiche Ironie, mit der sie spielerisch die vorgetragenen Texte so verbindet, dass sich mitunter kaum ermitteln lässt, an welcher Stelle die Konversation mit dem Auditorium endet und die Wort- und Sprechkunst der Poesie beginnt. Einmal singt sie sogar, unverhofft gut und schön. In ihrer prosaischen Lyrik und lyrischen Prosa gehen Umgangssprache und Zeitgeistjargon eine musikalisch von Rhythmus und Klang intakt gehaltene Ehe ein mit einem höheren Ton gebundener Rede – wobei der ganz hohe Ton erfreulich ausbleibt: Statt um „große Worte“, heißt es einmal, sei es ihr um „besondere Sorgfalt“ zu tun, in „der Liebe und in den Gedichten“. Die eine wie die anderen können sich flott, lustvoll, konvulsivisch äußern; oder vertrackt, unvollständig, indirekt. Mit beachtlichem Mut verleiht Gomringer der Lebensfreude nicht anders als ihrer Traurigkeit Stimmung und Stimme: gute Unterhaltung, tragikomisch.

Unwiderstehliche Präsenz

Tragisch sind auch zwei nur ein paar Minuten lange „Textfilme“, die sie in Hof zeigt – erschreckend abgründige Texte, eigenwillig begleitet von Bildschnipsel-Collagen, per Legetrick animiert von der Künstlerin Cindy Schmid. Der eine („Vielmals“) fängt das trostlose Schicksal der von aller Welt verlassenen, ausgebeuteten, missbrauchten Verdingkinder in der Schweiz ein; der andere, „Trias“, konfrontiert als Triptychon die Deportationen von Jüdinnen und Juden in Viehwaggons nach „Ausch–wit–z“ mit den faulen Ausreden der Nachgeborenen: „Wir hätten nicht mitgemacht.“

     Eine vielgestaltige Performerin, auch wenn sie ‚nur‘ sitzt und liest: unwiderstehlich ihre Präsenz, gedankenscharf ihr Einfallsreichtum, launig der Esprit. Zwischen Ernst und Scherz modelt sie sich fortwährend um durch Haltungen und Gesten und Mal um Mal die vollen Haare raufend. Gomringer inszeniert sich nicht prätentiös divenhaft, aber sie spielt immer etwas vor und dabei im Wechsel stets sich selbst. Als „Gottesanbieterin“ biedert sie sich Gott nicht an, sondern nähert sich ihm auf dem Weg der Skepsis und des Sarkasmus, des gewagten Geistesblitzes und der Blasphemie sogar. „Konzentriert katholisch“ karikiert die Verwandlungskünstlerin die „Wandlung“ während einer Messe „in der vierzigsten Minute“ oder den gekreuzigten Christus mit der Seitenwunde „wie ein Briefkastenschlitz“. Lächelnd mit eingezogenem Kopf gesteht sie: „An der Stelle hab ich jedes Mal Angst, dass der Blitz einschlägt.“ Zumindest an diesem Abend bleibt der Himmel klar und friedlich. Er hält das aus. Hätte Gott nicht viel Humor, gäbs diese Welt schon längst nicht mehr.

■ Nora Gomringer im Internet: hier lang.
■ Textfilm „Vielmals“ im Internet: hier lang.
■ Textfilm „Trias“ im Internet: hier lang.
■ Das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia im Internet: hier lang.