Eckpunkte-Archiv 2024/25
Schwund ist immer
28. September Über uns gehen sehr merkwürdige Dinge vor, am Himmel herrscht geradezu ein Kommen und Gehen. Dass, nur als Beispiel, der Swing-Bandleader Glenn Miller der Welt des Jazz abhandenkam, an deren Firmament er in der 1940er-Jahren als einer der hellsten Sterne strahlte, jährt sich demnächst zum achtzigsten Mal: Als Luftwaffen-Offizier war er am 15. Dezember 1944 über dem Ärmelkanal in einem Flugzeug unterwegs, bis er damit vom Himmel fiel – seinen Zielort Paris erreichte er nie, und wo die Maschine mit ihm abgeblieben ist, kam nie ans Licht. Im Sommer desselben Jahrs war über den Bestseller-Autor des „Kleinen Prinzen“ ein ähnliches Schicksal verhängt: Von seinem letzten, auf Korsika gestarteten Flug kehrte Antoine de Saint-Exupéry, erfahrener und begeisterter Pilot, nicht zurück, und erst über ein halbes Jahrhundert später erfuhren seine zigmillionen Leserinnen und Leser Näheres über die Umstände seines Todes im Meer vor Südfrankreich, wo im Jahr 2000 das Wrack seines Flugzeugs gefunden wurde. Bezeichnend, dass er schon einmal beinah abgestürzt war: 1935 sah er sich gezwungen, in der Nordsahara notzulanden, wo er fast verdurstet wäre, bis ihn nach fünf Tagen eine Karawane mitnahm. Aber nicht nur Stars, auch echte Sterne verschwinden, scheinbar einfach so. Dieser Tage nannte das Online-Wissenschaftsportal spektrum.de die überraschende Zahl von 5399 Leuchtkörpern, die in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts dem Nachthimmel beim Glitzern halfen, aber in unseren 2020ern – wie Vergleiche neuerer Himmelskarten mit älteren erwiesen – in der Astronomie als abgängig gelten, ohne dass sie als Supernovae explodiert wären. Ein bisschen Schwund ist immer, aber irgendetwas naturwissenschaftlich Begründbares muss mit ihnen geschehen sein, nur können die Forschenden bislang bestenfalls mit dürftigen Theorien zur Lösung des kosmischen Mysteriums beitragen. Immer mal wieder erleben wir selbst, wie uns das Gros der Sterne einfach aus dem Blick gerät: Vom Sternenmeer, wie wir es im Dunkel von Orten bestaunen, die weit genug von der Zivilisation entfernt sind, bleiben nur ein paar Handvoll heller Punkte übrig, sobald wir nächtens in der Stadt unser Augenmerk nach oben richten. Verloren sind die anderen Leuchtpunkte dem Himmelszelt darum nicht; nur vermag unsere Netzhaut ihren Schein vorm schwarzen Hintergrund nicht auszumachen, weil die Grundhelligkeit urbaner „Lichtverschmutzung“ ihn überdeckt. Zugleich taugt wenig so gut wie unser Bild vom Sternenhimmel dazu, uns die unumstößliche Binsenweisheit zu bestätigen, der zufolge nichts ewig hält und nur der Wandel Bestand hat: Denn das Licht der Sterne, die wir wahrnehmen, ist jahrhunderte- oder jahrzigtausendelang unvorstellbar schnell zu uns unterwegs – wer garantiert uns, dass die eine oder andere der riesigen Gas- und Feuerkugeln, während Äonen menschlicher Himmelsguckerei zu Sternbildern gruppiert, nicht schon längst mit gleißendem Pomp unterging? Wenn sich indes auf Erden Idole, Diven, Publikumslieblinge nach kurzem Ruhm verflüchtigen, so vollzieht sich das oft ohne Glanz und Schönheit, was besonders tragisch der Fall Daniel Küblböcks illustriert: Der Sänger und verhinderte „Superstar“ ging 2018 während einer Kreuzfahrt von Hamburg nach New York auf Nimmerwiedersehen buchstäblich unter. Ein Stern, ein Star wurde er erst eigentlich, nachdem er verschwunden war und gerade weil er erlosch. ■