Lärm aus der Lichthupe
Olaf Schubert nimmt sich in seinem jüngsten Buch und leibhaftig in Hof nichts Geringeres als die Schöpfung vor. Zusammen mit Co-Autor und Sidekick Stephan Ludwig kaspert er sich durchs Alphabet des großen Ganzen, „von ABBA bis Zyankali“. Das macht Spaß, allerdings fehlt die Spannung.
Von Michael Thumser
Hof, 18. November – Vor Publikum gibt er mutig den Satiriker von der traurigen Gestalt: „Ich habe mir“, bekannte er in einem früheren Programm, „meine Muskeln absaugen lassen“, woran sein Outfit, der berühmte ausgeleierte Rautenpullunder, der die nackten dürren Arme betont, jeden Zweifel ausräumt. Olaf Schubert – eine Laune der Evolution, ein Jux des Schöpfers? Wer den Komiker und Comedian, der 1967 in Plauen als Michael Haubold an Sachsens Licht trat, derart unterschätzt, wird seit bald dreißig Jahren von Show zu Show eines Besseren belehrt. In der vermeintlichen Jammergestalt steckt ein fantasievoll-sprachmächtiger Gedankenspringer, Formulierungsvirtuose und entlarvender Worthülsen-Hausierer, unter dessen schütterem Scheitel eine Denkerstirn mächtig in die Höhe ragt. Den Blindgänger spielt er, natürlich, nur vor. In Wahrheit sieht er sich scharfen Auges um in der Welt.
Und um nichts weniger als um sie, die Welt, geht es ihm diesmal: Am Donnerstag nahm er sich in Hof die Schöpfung vor, die sich den Spaß erlaubte, neben echten Kerlen und Powerfrauen auch einen Hänfling wie ihn hervorzubringen. Während vieler Jahre ließ er sich immer wieder hier blicken und brachte es 2022 sogar zum dürftigen Helden im Eröffnungsfilm der Internationalen Filmtage. Diesmal indes ist alles anders als üblich: Über dem Pullunder trägt Schubert ein gefälliges Jackett, auch streunt er nicht wie sonst gestikulierend über die Bühne, sondern nimmt artig an einem Tischchen Platz: Achtung, Autorenlesung. Denn auch Bücher schreibt Olaf Schubert, drei sind es schon, und für das jüngste (wie für das davor) hat er sich mit Stephan Ludwig zusammengetan, der sich ansonsten den Krimilesern mit seinen – fürs Fernsehen verfilmten – Thrillern um die Kriminaler Zorn und Schröder empfiehlt. In Hof firmiert der Co-Autor auch als Schuberts Sozius auf der Bühne der vollbesetzten Bürgergesellschaft.
68.112 Wörter
Titel des Grundlagenwerks: „Olaf Schubert bewertet die Schöpfung“, und zwar von A bis Z, „von ABBA bis Zyankali“. Für ein so ambitioniertes Riesenunternehmen sind 192 Seiten mit „68.112 Wörtern“ nicht eben viel: „Bei der nächsten Bücherverbrennung im sächsischen Vogtland“, räumt Schubert ein, sei das Taschenbuch „bestenfalls zum Anfeuern geeignet.“ Gleichwohl geht es darin um alles und ums Ganze, das der/die Gott, „der Schöpfer oder die Schöpferin“ einst eilig fertigstellte, in nur sieben Tagen. „So sieht es auch aus.“
Gemeinsam wollen Schubert und Ludwig „die Menschen ans Licht führen“. Nicht hinters Licht: Der „Objektivität“ halber führen sie ein Punktesystem ein. Gerade mal einen von sechs möglichen Sternen erhält, gleich anfangs unter A, die Achselhöhle: weil sie „im Gegensatz zum Schließmuskel völlig sinnlos“ ist. Ganz leer geht gar das „Altern“ aus, obwohl ein Trendsetter wie Dieter Hallervorden mit seinen 88 Lenzen „die Klaviatur der Erotik um Oktaven“ nach oben erweiterte, als er eine um dreißig Jahre jüngere Frau ehelichte („Mit 29 kriegt man das nicht hin“). Unterm Stichwort Elektrizität punktet die Windenergie, auch wenns gelegentlich „aus der Steckdose zieht“. In dieser Art gehts hin und her und weiter und weiter. Die Nase: „Das einzige Körperteil, das man rümpfen kann.“ NASA: Abkürzung für den „Nahverkehr Sachsen-Anhalt“, der allerdings mit einer bedeutenden „Partnerfirma in Amerika“ Kontakt hält. Schon schön, sowas; nur letztlich nicht viel mehr als nette Kalauer-Kommentare zu „Pippikackathemen“. Steckt nicht viel mehr in Olaf Schubert?
Die Welt, eine runde Sache
Lustiger als in den „Bewertungen“ des Buches geht es zwischen den beiden bei ihren Randbemerkungen und Fußnoten und durch ihre teils inszenierte, teils spontane Schlagfertigkeit zu. Allerdings bescheidet sich Stephan Ludwig, die schubertschen Pointen abnickend, neben dem Bühnenprofi allzu asketisch mit der Rolle des eingeschüchterten Sidekicks. Zwischen Längen und Leerstellen im stockenden und ruckelnden Vortrag der beiden springen durchaus Funken über – und die vierhundert Zuschauerinnen und Zuschauer lachen hellauf und herzlich –; trotzdem funkelt nur selten nachwirkender Witz. Zur Erleuchtung bündeln sich die Geistesblitze nicht, Sternmomente blinken auf, nur leider zu wenige, als dass zwei Sternstunden daraus werden könnten. Viel „Lärm aus der Lichthupe“, aber Lärm um fast nichts.
Das Alles-in-Einem und große Ganze der „Schöpfung“: Von den Bewertern humoristisch-handsam heruntergebrochen, hat es einen roten Faden und trotzdem keine Form. Da war ihnen Gott oder Göttin überlegen: Den Menschen und ein paar andere Irrläufer der Evolution abgerechnet, ist die Welt doch eine ziemlich runde Sache geworden. Wovon Olaf Schuberts schütterer Scheitel ein schönes Beispiel gibt: „Der Schöpfer sprach: Es werde Licht – und meine Haare haben sich daran gehalten.“
Hirn ist ein Privileg
„Triggerwarnung“: Wer den Ideen-Ausschüttungen Philipp Scharrenbergs folgen will, muss genau zuhören und flott mitdenken. Dem Forum Naila trug der singuläre Satiriker sein jüngstes, jüngst zu Recht preisgekröntes Programm „Verwirren ist menschlich“ und damit einen fulminanten Kabarettabend bei.
Von Michael Thumser
Bad Steben, 24. Oktober – Er ist krank, sagt er. Aber er nimmts leicht. Denn das, woran er leidet, macht ihn zu was Besonderem. Angeblich, sagt Philipp Scharrenberg, meldet sich bei ihm seit Kindesbeinen eine OCD, ausgeschrieben Obsessive Compulsive Disorder, auf Deutsch: eine Zwangsstörung, die ihn dauerhaft, ungewollt und überwältigend zu unkontrollierbaren und unaufhaltsamen Gedanken und Aktionen verleitet. Schlimm. Aber vielleicht auch nicht. Denn nur ein bis drei Prozent der Kinder und Jugendlichen sind davon betroffen, weswegen Philipp Scharrenberg für sich beanspruchen darf, eine Seltenheit zu sein. Zudem weiß er das Gebrechen fruchtbar zu machen: Während zweier geschwind durchdiskutierter Plauderstunden versorgt der singuläre Satiriker sein Publikum unaufhaltsam und ziemlich dauerhaft mit blitzgescheiten Gedanken und lockert seine philosophieverdächtige Suada singend und parodierend durch überwältigende Aktionen auf. So ein „Knoten im Kopf“ kann also eine feine Sache sein.
Dergleichen fällt auch höheren Ortes auf, zum Beispiel in Nürnberg. Hier, in der Tafelhalle, wird Scharrenberg am 13. Januar einen der renommierten Deutschen Kabarettpreise entgegennehmen, nämlich den mit viertausend Euro dotierten Programmpreis für sein Solo „Verwirren ist menschlich“. Erst heuer kam der 47-jährige Bonner damit heraus und war am Samstag in Bad Steben damit zu bestaunen. Das Nürnberger Burgtheater, das die Auszeichnung seit 1991 verleiht, lobt in seiner Begründung die „manische Kreativität“, mit der Scharrenberg „zwischen Poesie, Kabarett und Musik“ balanciert „und das Publikum mutig und vergnüglich auf eine rasante Reise durch die Wirrnisse unserer täglichen Gegenwart mitnimmt“. Als Gast des Forums Naila im recht gut besuchten, bald von heftigem Beifall erschütterten Saal der Kurklinik Auental demonstrierte er, wie das geht.
Noch alle Waffeln im Eisen?
Ja, wie geht das? Mit einer Zwangsstörung allein ists nicht getan. Es müssen schon noch weitere Talente massiv hinzutreten. Bei Philipp Scharrenberg sind das die Gabe zur minuziösen Beobachtung und Beurteilung seiner Umwelt, der Zeit und ihres Laufs, dazu ein weiter Überblick über die landläufigen Verschrobenheiten und Umnachtungen, die dem Menschen als Einzelnem und der Gesellschaft insgesamt unterlaufen – man nennt es, sagt er, auch kurz „Bullshit“ –, schließlich ein nachsichtiger Optimismus, der ihn beruhigt: Das alles mag schlimm sein; aber vielleicht nicht ganz schlimm.
„Hab ich noch alle Waffeln im Eisen?“, fragt Scharrenberg sich kritisch selbst. Den mindfucks ist er auf der Spur, jenen den Verstand allüberall von außen anspringenden Verwirrungen, die einen an der Verlässlichkeit der guten alten Sinne zweifeln lassen. Unstet, gleichwohl konzis gibt er Beispiele: Zwanghaft liefern sich alle guten Geister der globalen Digitalisierung aus („Für jeden Scheiß eine App“); namentlich in Krisenzeiten wächst sich pausenloses Nachrichtengucken zum „Extremsport für die Nerven“ aus; so „woke“ gerieren sich „hippe“ Zeitgenossinnen und -genossen, dass sie erst bei Primark einkaufen, um dann mit Fridays for Future zu marschieren; und die ungehemmte Datenerfassung und -speicherung führt zur vollständigen „Messbarkeit des Menschen“, wobei „alles, was messbar ist, auch manipuliert wird“ …
Was also tun? „‚Winnetou‘ verbieten, aber ‚Mein Kampf‘ weiter drucken“? Putin mit alten Benjamin-Blümchen-Kassetten zur Ruhe betten? Sich für ein nachhaltig und human produziertes Fairphone entscheiden, es dann aber bei Amazon bestellen („Karmisch eine Nullnummer“)? Was heute nottut, ist „eine neue Aufklärung, bevor wir unseren Verstand an die Maschinen verlieren“; und um den Aufklärer zu geben, der gut unterrichtet und kraft ethischer Einsichten zwischen „Fikt- und Faktion“ unterscheidet, der die mindfucking Methoden des Wahnsinns ermittelt, aufdeckt und erklärt – dafür ist Philipp Scharrenberg gerade der Richtige.
Der Untergang des Schabenlandes
Auch wenn ers einem nicht leicht macht. Das weiß er selbst, weswegen er wohlweislich eine „Triggerwarnung für Denkfaule“ anbringt. Denn er traut sich, was nur noch wenige seiner Humoristen-Branche wagen, seit Klamauk und immer seichtere Spielarten der Comedy die öffentlichen Plätze der Satire okkupieren. Man muss schon gut zuhören und flott mitdenken, um den inhaltlich und intellektuell anspruchsvollen, sprachlich extrem elaborierten Ideen-Ausschüttungen seines Zerebrums folgen zu können. „Das Hirn ist ein Privileg“, sagt er, und er steht dazu.
Gelegentlich singt Scharrenberg schon mal, mit schöner Stimme, und ist sich auch für einen Rap nicht zu schade. Geradezu musikalisch komponiert er aus Verbalschleifen, Satzteil-Wiederholungen und Wort-Leitmotiven den Sound eines Youtube-Videos zusammen: „Mit fünf einfachen Schritten zur Lösung von Problemen, die Sie vorher gar nicht hatten.“ Seinem „depressiven Drucker“ widmet er ein perfektes Poem im Heinrich-Heine-Ton, wie er überhaupt als vollendet raffinierter Reimer Gedichte von frappierender Hintergründigkeit und ebensolchem Witz inszeniert: Die erlesene Sachlichkeit in der Lyrik von Kästner, Kaleko, Tucholsky, die vermeintlichen Nonsensstrophen eines Eugen Roth oder Heinz Erhardt schreibt er aufs Virtuoseste fort, um, in Themen und Jargon unbedingt zeitgemäß, zum Beispiel eine „Waldfauna“ aus „Spinne(r)n, Bienen, Kerfen“ allegorisch zu vernetzen bis zum „Untergang des Schabenlandes“. Mit nicht minder versierten Versen lädt Scharrenberg sein Publikum zu einem „Ausflug ins Unbewusste“ und in einen Lift ein, in dem Verstand, Gefühl und Erfahrung steckengeblieben sind, bis ihnen der Vierte im Bunde heraushilft: „der Liftboy – das innere Kind“. Brillanter Tiefsinn, stilistisch funkelnd.
Ein „krankes“ Hirn? Wohl kaum. Lückenlos behält Scharrenberg ausufernde Textmassen im hellen Kopf und bringt sie ohne Knoten in der Zunge über die wieselflinken Lippen. Wenn er an einem Tischchen Platz nimmt und mit verstellten und verteilten Stimmen vorlesend ein absurdes Hörspiel à la Benjamin Blümchen imitiert – um „Lino Loser, den dümmsten Jungen“, dem alles misslingt –, zeigt sich wie nebenbei, was für ein wendiger Spieler in diesem ganz besonderen Kabarettisten außerdem steckt. Aufs Digitale mag und kann er selbst nicht ganz verzichten: Mittels Sampler mischt er die passenden Hinter- und Vordergrundgeräusche dazu. Soll er ruhig. Die Gefahr, ein so glorreicher Verstand wie der seine könnte sich „an die Maschine verlieren“, besteht zunächst nicht.
■ Philipp Scharrenberg im Internet: hier lang.
■ Nächste Veranstaltung des Forums Naila: 12. November, Bad Steben, Klinik Auental (anders als im Internet angegeben!), 19 Uhr, Lucy van Kuhl & die „Es-Chord-Band“
■ Das Forum Naila im Internet: hier lang.