Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

19. November, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Dreifach mit iberischer Musik nahmen die Symphoniker ihr Publikum gefangen: „Viva España“. Als fabelhafter Gitarrensolist beseelte Ricardo Gallén das berühmte „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo. Gastdirigent Johannes Wildner begleitete zunächst einen Torero zum bangen Gebet, bevor er mit der Symphonie des Wunderkindes Juan de Arriaga dem „baskischen Mozart“ huldigte.



Eckpunkt

Motoren-Maestro

Von Curiander

16. Oktober   Vor ziemlich genau drei Jahren erschütterte, erheiterte oder faszinierte die kulturaffine Öffentlichkeit eine Medienmeldung, die angetan schien, in der Musikwelt das Unterste zuoberst zu kehren: Mithilfe eines langwierig ausgeklügelten Algorithmus hatte ein Computer die nicht existierende zehnte Symphonie Ludwig van Beethovens zusammengebastelt; ihre Komposition hatte der genialische Tonsetzer sich zwar vorgenommen, über einige spärliche, kaum zu entziffernde Notizen aber kam er vor seinem Tod nicht mehr hinaus. Mächtig Aufsehen und Aufhorchen erregten die ersten Präsentationen der Partitur in Bonn und später in Hamburg. Die daraufhin veröffentlichte CD-Einspielung bestätigte allerdings für jeden ferngebliebenen Hörer nachvollziehbar die Auffassung der anwesenden Fachwelt, dass als Ergebnis des über Jahre vorangetriebenen Vorhabens eine Riesenenttäuschung herausgekommen sei. Mittlerweile darf solches Unterfangen als kalter Kaffee gelten, pfriemelt doch sogenannte Künstliche Intelligenz schon längst auf Wunsch und bei Bedarf weit pfiffigere Melodien und Harmonien aneinander. Gleichwohl lassen die Verfechter einer digitalen Durchsetzung aller Künste nicht locker und auch die Tonkunst nicht aus dem Auge und Ohr. So beglückten die Dresdner Sinfoniker am vergangenen Samstag ihre Gäste im Festspielhaus Hellerau nicht einfach mit der Erstausgabe des Projekts „Robotersymphonie“; mehr noch galt der starke Beifall des innovationsfrohen Publikums dem Dirigenten. Den Dirigiermaschinen, um es exakt zu sagen. Denn das Ensemble, auf zwanzigköpfige Kammerbesetzung beschränkt und obendrein in drei voneinander getrennte Gruppen geteilt, wurde bei Andreas Gundlachs „Semiconductor’s Masterpiece“ von drei Roboterarmen angeleitet. Jeder von ihnen trug einen farbigen Taktstock – rot der eine, der andere gelb, der dritte blau –, und um die futuristische Wirkung zum Äußersten zu steigern, strahlten die Stäbe wie die Lichtschwerter aus der „Star Wars“-Kinosaga. Ausgedacht hatte sich das singuläre Experiment der Orchester-Intendant Markus Rindt, der mit seiner Idee bei den IT-Experten der Technischen Universität offene Türen einrannte. Eine Symphonie Beethovens, räumt Rindt ein, erfordere derlei Technik nicht; wohl aber ein Stück wie „Semiconductor’s Masterpiece“, bei dem die drei Instrumentengruppen in ebenso vielen unterschiedlichen Taktarten und Tempi zu spielen hätten. Medienberichten zufolge brachten die Sinfonikerinnen und Sinfoniker dem Unterfangen offenbar mehr Skepsis als die Zuhörenden entgegen. Hinderlich fiel ihnen auf, dass sie, über die programmierte Zeichengebung hinaus, naturgemäß zu keinerlei Kontakt mit den motorisierten Maestros finden konnten. Dabei hält jeder einigermaßen erfahrene Konzertbesucher und erst recht jeder Ensemblemusiker für selbstverständlich, dass die ganzheitliche Körpersprache eines menschlichen Leitenden am Pult und gerade auch seine Mimik unabdingbar sind für die Interpretation eines zuvor mit ihm geprobten Werks aus dem Augenblick der Live-Aufführung heraus. Zumindest vonseiten der Automaten-Arme verläuft jede Darbietung wie die davor und die danach; allenfalls den Musizierenden bleiben enge Spielräume für Ausdruck und Ausdeutung. Der Apparat reagiert auf das Klanggeschehen vor ihm nicht, blind, wie er ist. Und taub, was schwerer wiegt. Immerhin: Beethoven wars auch. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

16. November, Hof, Klangmanufaktur
Zum achten Mal lud das Projekt „music4cellos“ zu Cellotagen. Verstärkt hatten sich die vier „Evangcellisten“ um Markus Jung mit dem leidenschaftlichen Alejandro Castro-Balbi, der das Festival nicht nur mit einem Kammerabend eröffnete, sondern ihm auch eine „Masterclass“ beitrug. Neben ihm sorgte beim Schlusskonzert ein unangekündigter Gast aufwühlend für Wirbel.

14. November, Hof, St.-Michaelis-Kirche
Dass der Waliser  Karl Jenkins als der meistgespielte lebende Komponist der Welt gilt, hat er nicht zuletzt seinem Requiem zu verdanken. 2023 führten es Sängerinnen und Sänger der St.-Michaelis-Kantorei und des Jean-Paul-Gymnasiums sogar in der New Yorker Carnegie Hall auf; jetzt, nach 2017 und wieder unter Georg Stanek, noch einmal zu Hause: Das Publikum, tief beeindruckt, applaudierte stehend.

 


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Mausefalle
Das Wunder von Hof
Plutos oder Wie der Reichtum sehend wurde
Vorhang auf für Cyrano!



Musiktheater
zuletzt
Dornröschen
Der Duftmacher
Die Krönung der Poppea
Dante


Theater andernorts
zuletzt
Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen
Jelisaweta Bam
im Vogtlandtheater
Der König stirbt in Bayreuths Studiobühne


Konzert
zuletzt
Concierto de Aranjuez: Ricardo Gallén brilliert mit Joaquin Rodrigos Meisterwerk
Hofer Cellotage:
Leidenschaftliche Gäste beim achten Festival
Lateinisch-japanisches Requiem:
Karl Jenkins’ populäre Vertonung in Hof
Trio Amédée:
Seltene Kammermusik im Lichtenberger Haus Marteau



Film und Fernsehen
zuletzt
The Apprentice
58. Internationale Hofer Filmtage
To the Moon
Die Herrlichkeit des Lebens


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Musik & Buch:
Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust
Aus dem Leben alter Häuser: Begleitbuch zur Hofer Stadtbrand-Ausstellung


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.