2. Oktober 2025 Vieles, das uns überrascht, eine unverhoffte Freude ebenso wie ein Schreck, heizt uns physisch ein: Dann läuft es uns schon mal siedend den Rücken hinunter, als wär es Wasser aus der Dusche, die wir zu hoch eingestellt haben. Mitunter verdanken wir das hitzige Körpergefühl einem Geistesblitz und empfinden es dann als besonders angenehm. Zustatten kommt uns, dass sich bei den neuronalen Funkenschlägen im Gehirn Elektrizität von extrem niedriger Spannung entlädt: nur ein paar Millionstel Volt statt der 230, die eine Steckdose liefert. Zu unserem Glück bekommen wir es bei besagtem Kopfleuchten schon gar nicht im Entferntesten mit der Energie der blendenden Lichter zu tun, die bei Gewittern die Atmosphäre durchzucken. Die nämlich erreichen Temperaturen von bis zu dreißigtausend Grad – das Fünffache der Hitze auf der Oberfläche der Sonne, von der wir uns am Badestrand gern den Grips ausdörren lassen. Übrigens verfährt unsere Sprache recht verfälschend, wenn sie es sich erlaubt, das Wesen der aus Luft und Wolken geborenen Lichtbögen zu Metaphern zu verarbeiten: Das Wort blitzartig verwenden wir, um die kurze Urplötzlichkeit eines jählings eintretenden Ereignisses zu beschreiben – in der Natur indes kann sich ein Donnerkeil außerordentlich lang ausdehnen, räumlich wie zeitlich. So zertifizierte im Sommer die Weltwetterorganisation WMO den sich am weitesten erstreckenden Blitz, der je registriert wurde: In den Vereinigten Staaten reichte er im Herbst 2017 über 829 Kilometer vom texanischen Osten fast bis nach Kansas. Den ausdauerndsten, also zeitlich längsten stoppten Forschende knapp drei Jahre später über der Südhälfte Südamerikas: Für fast acht Sekunden zerriss er das Firmament, bis er erlosch. Zündeten in unserem Zerebrum Geistesblitze von vergleichbarer Permanenz – sie müssten uns wohl dauerhaft in Genies verwandeln. Als stürmisch losbrechenden Quell der Inspiration kennen und schätzen Erfinder, Künstlerinnen und andere Kreative solche Augenblickseinfälle. Was sich allerdings danach bis zur Vollendung der Ur-Idee an Mühen aneinanderreiht, weitet sich – anders als ein Blitz vom Himmel – meist zum zeit- und kräfteraubenden, von Scheitern bedrohten Prozess. Das mindert den Wert der Aha-Momente freilich keineswegs, ebenso wenig wie die Entdeckung US-amerikanischer Kognitionswissenschaftler, von der die Plattform spektrum.de unlängst berichtete: Bei Experimenten mit promovierten Mathematikern fanden sie heraus, dass deren ruhige oder routinierte Bewegungen während der schriftlichen Bearbeitung schwieriger Aufgaben sich signifikant unvorhersehbar veränderten, sobald die Schlauköpfe unmittelbar vor der Lösung standen. „Heureka“, ich habs gefunden, soll der hellenische Naturkundler Archimedes ausgerufen haben, als er, ein Wannenbad nehmend, unversehens auf den Trick verfiel, mit dem er eine angeblich goldene Krone seines Königs Hiero auf ihre unverfälschte Echtheit hin würde überprüfen können - ob wohl auch er kurz davor zu zittern begann? Insgesamt schlagen auf unserem Planeten sekündlich etwa hundert Feuerpfeile ein. Nicht einmal der genialste Verstand hielte ein vergleichbares Kopfgewitter aus. Doch erfahren sogar Menschen mit starker psychischer Beeinträchtigung hin und wieder ein lucidum intervallum, wie Mediziner und Juristen sagen, eine vorübergehende „helle Zwischenzeit“ in ihrer geistigen Verdunkelung. Selten sind kluge Menschen so weise wie Narren in ihren lichten Momenten. ■
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Rückblick
9. Oktober, Hof, Theater, Großes Haus
Fast acht Stunden hat die berühmte Trilogie des Aischylos 1980 gedauert, als Peter Stein sie in Berlin auf die Schaubühne brachte. Bei Regisseur Frank Behnke kommt Die Orestie mit drei Stunden aus. Steins Übertragung der antiken Tragödien, radikal eingedampft dem großartigen Ensemble anvertraut, rundet sich blutig zur vielschichten Parabel auf die Erfordernis der Rechtsstaatlichkeit. Guten Gewissens könnte sich die Produktion auf jeder deutschen Bühne sehen lassen.
7. Oktober, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Vor 36 Jahren kamen die ersten DDR-Flüchtlinge aus der Prager Botschaft im Hofer Hauptbahnhof an. Vor 35 Jahren vollendete sich die deutsche Einheit. Zum Jubiläumskonzert Drüben hatte die Stadt die Dresdner Sinfoniker eingeladen. Deren begeistert beklatschtes Konzept umfasste unter anderem zwei Werke aus jüngster Vergangenheit, eine Menschenmauer, die den Saal zerteilte, und einen Wachturm, auf dem Jonathan Stockhammer dirigierte.
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Die Meistersinger in Bayreuth
Salome im Vogtlandtheater
Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel
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Hüben & Drüben: Die Dresdner Sinfoniker feiern die deutsche Einheit
Lieben Sie Brahms? Christian Zacharias eröffnet die Hofer Konzertsaison
Hohe Messe in Hof: Bachs opus magnum als Festspiel für den Frieden
Auf kurze Distanz: Werke von Bach und Brahms im Selber Rosenthal-Theater
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