Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

14. Oktober, Hof, Theater, Studio
„Seid fruchtbar und mehret euch": So lädt der Gott der Bibel die ersten Menschen ein, die Menschheit zu begründen. In den Tagebüchern von Adam und Eva steht allerdings, dass es ihnen nicht ganz leicht fiel, sich zukunftstauglich zusammenzuraufen. Regisseurin Rita Sereinig verlegte das pointenreiche Zwei-Personen-Musical ins „Dschungelcamp“ des Trash-Fernsehens, das Carolin Waltsgott und Maurice Daniel Ernst mit Temperament und Genuss aufmischen.



Eckpunkt

Kopfleuchten

Von Curiander

2. Oktober 2025   Vieles, das uns überrascht, eine unverhoffte Freude ebenso wie ein Schreck, heizt uns physisch ein: Dann läuft es uns schon mal siedend den Rücken hinunter, als wär es Wasser aus der Dusche, die wir zu hoch eingestellt haben. Mitunter verdanken wir das hitzige Körpergefühl einem Geistesblitz und empfinden es dann als besonders angenehm. Zustatten kommt uns, dass sich bei den neuronalen Funkenschlägen im Gehirn Elektrizität von extrem niedriger Spannung entlädt: nur ein paar Millionstel Volt statt der 230, die eine Steckdose liefert. Zu unserem Glück bekommen wir es bei besagtem Kopfleuchten schon gar nicht im Entferntesten mit der Energie der blendenden Lichter zu tun, die bei Gewittern die Atmosphäre durchzucken. Die nämlich erreichen Temperaturen von bis zu dreißigtausend Grad – das Fünffache der Hitze auf der Oberfläche der Sonne, von der wir uns am Badestrand gern den Grips ausdörren lassen. Übrigens verfährt unsere Sprache recht verfälschend, wenn sie es sich erlaubt, das Wesen der aus Luft und Wolken geborenen Lichtbögen zu Metaphern zu verarbeiten: Das Wort blitzartig verwenden wir, um die kurze Urplötzlichkeit eines jählings eintretenden Ereignisses zu beschreiben – in der Natur indes kann sich ein Donnerkeil außerordentlich lang ausdehnen, räumlich wie zeitlich. So zertifizierte im Sommer die Weltwetterorganisation WMO den sich am weitesten erstreckenden Blitz, der je registriert wurde: In den Vereinigten Staaten reichte er im Herbst 2017 über 829 Kilometer vom texanischen Osten fast bis nach Kansas. Den ausdauerndsten, also zeitlich längsten stoppten Forschende knapp drei Jahre später über der Südhälfte Südamerikas: Für fast acht Sekunden zerriss er das Firmament, bis er erlosch. Zündeten in unserem Zerebrum Geistesblitze von vergleichbarer Permanenz – sie müssten uns wohl dauerhaft in Genies verwandeln. Als stürmisch losbrechenden Quell der Inspiration kennen und schätzen Erfinder, Künstlerinnen und andere Kreative solche Augenblickseinfälle. Was sich allerdings danach bis zur Vollendung der Ur-Idee an Mühen aneinanderreiht, weitet sich – anders als ein Blitz vom Himmel – meist zum zeit- und kräfteraubenden, von Scheitern bedrohten Prozess. Das mindert den Wert der Aha-Momente freilich keineswegs, ebenso wenig wie die Entdeckung US-amerikanischer Kognitionswissenschaftler, von der die Plattform spektrum.de unlängst berichtete: Bei Experimenten mit promovierten Mathematikern fanden sie heraus, dass deren ruhige oder routinierte Bewegungen während der schriftlichen Bearbeitung schwieriger Aufgaben sich signifikant unvorhersehbar veränderten, sobald die Schlauköpfe unmittelbar vor der Lösung standen. „Heureka“, ich habs gefunden, soll der hellenische Naturkundler Archimedes ausgerufen haben, als er, ein Wannenbad nehmend, unversehens auf den Trick verfiel, mit dem er eine angeblich goldene Krone seines Königs Hiero auf ihre unverfälschte Echtheit hin würde überprüfen können - ob wohl auch er kurz davor zu zittern begann? Insgesamt schlagen auf unserem Planeten sekündlich etwa hundert Feuerpfeile ein. Nicht einmal der genialste Verstand hielte ein vergleichbares Kopfgewitter aus. Doch erfahren sogar Menschen mit starker psychischer Beeinträchtigung hin und wieder ein lucidum intervallum, wie Mediziner und Juristen sagen, eine vorübergehende „helle Zwischenzeit“ in ihrer geistigen Verdunkelung. Selten sind kluge Menschen so weise wie Narren in ihren lichten Momenten. ■

Alle bisherigen Kolumnen in den
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Rückblick

9. Oktober, Hof, Theater, Großes Haus
Fast acht Stunden hat die berühmte Trilogie des Aischylos 1980 gedauert, als Peter Stein sie in Berlin auf die Schaubühne brachte. Bei Regisseur Frank Behnke kommt Die Orestie mit drei Stunden aus. Steins Übertragung der antiken Tragödien, radikal eingedampft dem großartigen Ensemble anvertraut, rundet sich blutig zur vielschichten Parabel auf die Erfordernis der Rechtsstaatlichkeit. Guten Gewissens könnte sich die Produktion auf jeder deutschen Bühne sehen lassen.

7. Oktober, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Vor 36 Jahren kamen die ersten DDR-Flüchtlinge aus der Prager Botschaft im Hofer Hauptbahnhof an. Vor 35 Jahren vollendete sich die deutsche Einheit. Zum Jubiläumskonzert Drüben hatte die Stadt die Dresdner Sinfoniker eingeladen. Deren begeistert beklatschtes Konzept umfasste unter anderem zwei Werke aus jüngster Vergangenheit, eine Menschenmauer, die den Saal zerteilte, und einen Wachturm, auf dem   Jonathan Stockhammer dirigierte.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Orestie
Nipplejesus
Das Leben ein Traum
Handbuch gegen den Krieg


Musiktheater
zuletzt
Die Tagebücher von Adam und Eva
Ranzlichter
Eugen Onegin
Die Perlenfischer


Theater andernorts
zuletzt
Die Meistersinger in Bayreuth
Salome
im Vogtlandtheater
Die Befristeten
auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde
auf dem Grünen Hügel


Konzert
zuletzt
Hüben & Drüben: Die Dresdner Sinfoniker feiern die deutsche Einheit
Lieben Sie Brahms? Christian Zacharias eröffnet die Hofer Konzertsaison
Hohe Messe in Hof:
Bachs opus magnum als Festspiel für den Frieden
Auf kurze Distanz:
Werke von Bach und Brahms im Selber Rosenthal-Theater



Film und Fernsehen
zuletzt
Mission Impossible - The Final Reckoning
48. Grenzland-Filmtage Selb/Aš
Maria
Nosferatu


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
TBC macht lauter gute Vorschläge
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß
erzählt das Graue vom Himmel


Anderes
zuletzt
Musik: Klaviermusik von Bach und Clara Schumann, Hartmanns Violinkonzert
Bücher: Hermann Hesses toter Bruder, Bamberger Sprach-Bilder und viel Wasser
Die Kunst der Bauchlandung: Das neue Buch des Hofers Roland Spranger
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern


Essay  
zuletzt
... und zum Flor des Landes: Zwischen 1806 und 1918 - Bayerns fünf bis sechs Könige
Das Findelkind Europas:
Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas

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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.