17. Mai 2025 Sie sei, teilen die Kunstsammlungen Chemnitz mit, ein „intensives Gefühl“, aber das klingt in unheilvollen Zeiten ziemlich untertrieben. Der Angst, und zwar in ihrer äußersten Form, hat der Norweger Edvard Munch auf seinem berühmtesten Gemälde Gestalt verliehen: In fünf Versionen bildete er eine Panikattacke ab – den unhörbaren „Schrei“ eines Menschen, von dem wir nicht ahnen können: Hat die Bangnis ihn, seines aufgerissenen Mundes ungeachtet, stumm gemacht? Oder heult er derart gellend auf, dass er selbst sich die Ohren zuhalten muss und die Landschaft um ihn her aus dem Leim geht? Dass die „Welt aus den Fugen“ geraten sei, hören wir täglich, seit die Erderwärmung sich nicht länger leugnen lässt, Russland den Nachbarn Ukraine mit Krieg verheert, Israel im Terror, Palästina im Blut, der Sudan im Elend versinkt. Mit einer Schreckensnachricht nach der andern machen die seriösen Medien seit jeher unser Blut gefrieren, und die unseriösen geben uns mit extra drastischen Horrorvisionen, absurden Verschwörungsmeldungen, antidemokratischen Radikalkuren zur Abhilfe den Rest. Gleichwohl scheut Chemnitz, heuer Kulturhauptstadt Europas, sich nicht, der Angst ein Zuhause einzurichten – einen „Pavillon der Angst“. Der lädt zwischen dem 10. Juni und dem 9. August, nacheinander an neun Stationen in der Stadt, zu „gemeinsamem Musizieren und kreativem Schreiben bis hin zu Bewegungsangeboten“ ein, bevor dann tags darauf eine Edvard-Munch-Ausstellung die Tore öffnet. (Ihr Titel: schlicht „Angst“, was sonst.) Indes, sich das Grauen aus Herz und Lungen singen, aus den Fingern fabulieren, aus dem Leib tanzen – reicht dergleichen als Bewältigungstherapie? Inoperabel nistet die Angst seit Anbeginn unserer Spezies in uns Menschen, sodass es sich die Griechen der Antike gar nicht anders denken konnten, als dass sie ihnen leibhaftig als Gott entgegentrete, Phobos geheißen. Von ihm haben die Akrophobie oder die Arachnophobie – die krankhafte Angst vor Höhen oder Spinnen – nebst all den anderen Phobien ihren Namen. Ein Volk in Angst lässt sich leicht beherrschen, ganz gleich, ob Geistliche ihre Schäfchen mit dem Höllenfeuer oder Diktatoren ihre Widersacher mit Gefahr für Leib und Leben bedrängen. Philosophie und Psychologie wollen uns die Angst verständlich machen: Eine berühmte Studie hat ihr 1844 der Däne Søren Kierkegaard gewidmet, der sie, als Gefühl unbestimmter Sorge, von der Furcht unterschied, der Beklommenheit angesichts einer konkreten Bedrohung. Später durchschaute sie sein deutscher Kollege Martin Heidegger in ihrer Doppelgesichtigkeit: Dass wir im Zustand und Angesicht der Angst lebten, lähme und überfordere uns zwar, fordere uns aber zugleich befeuernd heraus, immer aufs Neue Entscheidungen für unsere Existenz zu treffen; erst dadurch gewännen wir Einsicht in die Freiheit und die Eigenverantwortlichkeit, die uns auferlegt sind. Ähnlich denken offenbar die Chemnitzer Kuratoren, die uns weniger bange machen als vermitteln wollen, dass Angst uns „antreiben kann, Veränderungen anzugehen und persönlich zu wachsen“. Aber freilich vermag uns die Angst vor der Zukunft, dem Leben, dem Tod … auch schier um den Verstand zu bringen. Vielleicht ruft uns der Mensch auf Munchs „Schrei“ ja genau das entgegen. Dafür spricht, so steht zu fürchten, die Aufschrift von des Meisters eigener Hand links oben auf der 1893 gemalten ersten Fassung: „Kann nur von einem Verrückten gemalt worden sein.“ ■
Alle bisherigen Kolumnen in den
Eckpunkt-Archiven (siehe oben im Menü)
Rückblick
15. Mai, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Ein Naturtalent: Als Kind begann sie in ihrer Geburtsstadt Hof zu trommeln - und hörte nicht mehr auf damit. 31-jährig rangiert Vivi Vassileva nach steiler Karriere unter den Weltbesten der Perkussionisten-Zunft. Auch der Heimat gibt sie gern die Ehre. Diesmal brillierten die gewinnende Künstlerin und ihr „Extasi Ensemble“ vor 650 Zuhörerinnen und Zuhörern mit hochkomplexer Musik einer avancierten Avantgarde, fanden aber auch Gelegenheit für effektvolle Zirkusnummern.
13. Mai, Hof, Freiheitshalle, Festsaal
Vor neunzehn Jahren stand Hermann Bäumer zum ersten Mal am Pult der Hofer Symphoniker, neun Jahre lang amtierte er als conductor in residence. Nun nahm er während eines anspruchsvollen Konzertabends Abschied: Mit drei Werken des zwanzigsten Jahrhunderts unter der gemeinsamen Überschrift Friedenshoffnung füllte er den Saal noch einmal mit dem, was die dankbare Intendantin Cora Bethke an ihm schätzt: mit „Leben, Herz und unvergleichlicher Musik“
Theater Hof
Schauspiel
zuletzt
Das Leben ein Traum
Handbuch gegen den Krieg
Alle meine Männer
Don Karlos
Musiktheater
zuletzt
The Brothers/Der Jüngste Tag ist jetzt
Ballet Blanc
Titanic
Die Geschöpfe des Prometheus
Theater andernorts
zuletzt
Salome im Vogtlandtheater
Die Befristeten auf Bayreuths Studiobühne
Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress in Plauen
Konzert
zuletzt
Puls der Kontinente: Frenetischer Jubel für Vivi Vassileva und das Extasi Ensemble
Abschied: Hermann Bäumer war neunzehn Jahre lang Erster Gastdirigent in Hof
Drei Briten in Hof - und dabei eine deutsche Erstaufführung bei den Symphonikern
Trost am Ende der Zeit: Brahms’ Klarinetten-Trio und Messiaens Quartett
Film und Fernsehen
zuletzt
48. Grenzland-Filmtage Selb/Aš
Maria
Nosferatu
September 5
Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
TBC macht lauter gute Vorschläge
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß: Das Graue vom Himmel
Anderes
zuletzt
Die Kunst der Bauchlandung: Das neue Buch des Hofers Roland Spranger
Bücher & Musik: Von Sonne, Mond und Sternen in den „Geschichtsraum“ Bayern
Aus dem Nachlass: Unbekannte frühe Erzählungen von Siegfried Lenz
Gottesanbieterin: Die Lyrikerin Nora Gomringer und ihre Kontake zum Jenseits
Essay
zuletzt
... und zum Flor des Landes: Zwischen 1806 und 1918 - Bayerns fünf bis sechs Könige
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens
Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online